Pagliacci” by Ruggero Leoncavallo libretto (German)

Personen / Prolog

Nedda, Komödiantin, Frau des Canio – in der Komödie Colombina (Sopran)
Canio, Haupt einer Komödiantentruppe – in der Komödie Bajazzo (Tenor)
Tonio, der Tölpel, Komödiant – in der Komödie Taddeo (Bariton)
Beppo, Komödiant – in der Komödie Harlekin (Tenor)
Silvio, ein junger Bauer (Bariton)
Landleute, Gassenbuben (Chor)

Ort und Zeit der Handlung: Montalto (Kalabrien); an Mariä Himmelfahrt, 15. August 1865

PROLOG

(Tonio, in der Maske des Taddeo in der Komödie, tritt
vor den Vorhang.)


TONIO
Schaut her... Ich bin’s.
Doch nah’ ich ganz ernsthaft und grüße euch,
werte Damen und Herren, heut als Prologus!
Ihr seht die heitren Masken
wohl mit Staunen im ernsten Spiele!
Und da will es der Brauch,
daß ich des Dichters Ziele
Euch nenne und kurz erkläre.
Denn nicht wie sonst gilt heut’ der Satz:
„Die Tränen der Bühne sind falsch, sind Lug,
falsch alle Seufzer auch, und die Schmerzen Betrug;
nehmt drum die Bühne nie ernst!“ Nein! Nein!
Heut schöpfet der Dichter kühn
aus dem wirklichen Leben schaurige Wahrheit!
Ach, nicht die Märchen allein sind der Zweck der Kunst,
auch was er wirklich sieht, schildre der Dichter,
dann erringt er der Menschen Gunst!
Jüngst tauchte in des Autors Seele jäh die Erinn’rung
auf an ein Erlebnis, das tief ihn dereinst erschüttert’;
noch heute rinnt die Träne, obgleich er’s nur erzählet im Liede!
Hört denn! Laßt euch im Schauspiel rühren
der Liebenden Schicksal, das eurem oft gleicht.
Den Haß seht wüten, den Neid seht nagen, bis das

Maß der Schuld erreicht ist und die Hölle fordert lachend ihren Lohn!
O glaubt mir: wie euch schlägt voll Lust und Leid
auch in des Gauklers Brust ein Herz; sowie euch quillt
lindernd mir die Träne, wenn ihn bedrückt ein Schmerz.
Wir alle auf Erden wandeln im gleichen Licht bis am Ziel,
ob arm oder reich, jedem das Auge bricht.
Wie mein Dichter die Welt nun sah, hab’ ich verraten!
Seht nun sein Werk.
(in die Szene rufend)
Macht fort! Das Spiel kann beginnen!

ERSTER AKT

Erste Szene

Eine Landstraßenkreuzung kurz vor dem Dorf.
(Trompetentöne und Trommellärm sind zu hören.
Landleute eilen herbei, Kinder schreien aufgeregt
dazwischen. Eine Gruppe fahrender Schauspieler,
denen das kleine Theater gehört, ist im Anmarsch.
Tonio, ein buckliger Schauspieler, sieht verdrossen der
nahenden Menge entgegen und kauert sich vor der
Bude auf den Boden. Es ist drei Uhr nachmittags an
einem heißen Augustnachmittag.)


MÄNNER und FRAUEN
(nach und nach auftretend)
Sie sind’s! Dort nahen sie! Bajazzo ist da!
Alle begleiten ihn, groß und klein,
ihren Witzen und Scherzen applaudiert ein jeder!
Doch blickt er düster, geht vorbei,

dann wieder schlägt er die große Trommel.
Heh! Heh! Peitschet den Esel, braver Harlekin!
Sie sind’s! Sie sind’s!
Hört, wie die Menge laut kreischet.
Werft die Hüte in die Luft!

CANIO
(von draußen)
Schert euch zum Teufel!

BEPPE
(von draußen)
Schweigt, schweigt, Gesinde!!

CHOR
Werft die Hüte hoch in die Luft.
Durch die schreiende Menge kommt er her.
Seht dort den Wagen, Gott sei Dank!
Sie sind nun da! Welch Durcheinander! Gerechter
Gott, sie sind nun da!
(Ein pittoreskes Gefährt, in bunten Farben bemalt,
kommt herein. Es wird von einem Esel, den der als
Harlekin verkleidete Beppe führt, gezogen. Vorn auf
dem Wagen steht Nedda, hinter dem Wagen geht
Canio, im Kostüm des Bajazzo. Er schlägt die große
Trommel.)

ALLE
Er lebe!
Der Fürst seid Ihr aller Gaukler!
Mit tollem Spiel
verkürzt ihr die Stunden.
Er lebe! Sie sind’s! usw.

CANIO
Danke!

CHOR
Bravo!

CANIO
Ich möchte...

CHOR
Und das Schauspiel?

CANIO
Herrschaften!

ALLE
Uh! Wie greulich! Hör doch auf!

CANIO
So laßt ihr mich reden?

ALLE
Oh! Seid ruhig, laßt ihn reden jetzt!
Schweigt still, hört endlich zu!

CANIO
Ein herrliches Schauspiel
heut’ abend um elf
bereitet euch euer armer
und guter Diener!
Ihr sehet die Eifersucht
des guten Bajazzo,
und wie er sich rächt
und eine Falle stellt.
Ihr sehet, wie dem Tonio
die Knochen zittern,
und wie im Intrigennetz
er sich fängt.
So kommt und beehrt uns,
ihr Damen und Herren.
Heute abend um elf!

ALLE
Wir kommen, doch du
sei dann bester Laune.
Bis heut’ abend um elf!
(Tonio nähert sich Nedda, um ihr vom Wagen zu helfen,
doch Canio gibt ihm eine Ohrfeige und hebt Nedda
selbst vom Wagen.)

CANIO
Scher dich zum Teufel!

FRAUEN
(lachend)
Nimm dich in acht, schöner Galan!

KINDER
(pfeifend)
Ganz ergebenst!

TONIO
(zu sich)
Das sollst du büßen, du Schutt!

EIN BAUER
(zu Canio)
Sag, kommst du mit uns zur Taverne,
ein Glas guten Wein dort zu trinken?
Sag, kommst du?

CANIO
Mit Vergnügen.

BEPPE
Wartet auf mich,
ich bin auch noch da!

CANIO
Sag, Tonio, kommst du mit?

TONIO
Ich säubere den Esel. Geht nur voraus!

BAUER
(lachend)
Glaub’s nicht, Bajazzo, er will nur hier noch bleiben,
um deiner Nedda den Hof zu machen!

CANIO
(scherzend, aber mit Ernst)
Heh! Heh! Du denkst?
(halb im Ernst: ein bißchen ironisch)
Besser ist es, einen solchen Scherz,
glaubet mir, nicht mit mir zu machen, meine Freunde,
und zu Tonio, wie zu allen, spreche ich jetzt!
Das Theater und das Leben sind nicht die gleiche Sache!
Wenn dort oben Bajazzo sein Weib
mit einem anderen Mann im Zimmer findet,
hält er eine komische Rede:
dann beruhigt er sich und ergibt sich
den Schlägen des Geschicks!
Und das Publikum zollt Beifall
und lacht fröhlich.
Doch wenn Nedda wirklich mich betröge,
anders, glaubt mir, würde die Geschichte enden,
und es ist wahr, was ich euch sage!
Wenn dies ein Scherz ist, glaubet mir,
ist es besser, nicht zu scherzen!

NEDDA
(zu sich)
Ich verstehe nicht!

BAUERN
So vermutest du
wirklich eine solche Sache?

CANIO
Ich? Glaubt ihr? Verzeiht mir.
Ich liebe meine Frau.
(Man hört Flötenklänge.)

KINDER
Die Musikanten! Die Musikanten!

MÄNNER
Zur Kirche ziehen die Freunde.
(Die Glocken rufen zur Vesper.)

DIE ALTEN
Es begleiten sie die Leute,
die in Paaren froh zur Vesper gehen.

FRAUEN
Die Glocken, ah, gehen wir!
Die Glocke ruft uns zum Herren!

CANIO
Doch dann, vergeßt es nicht!
Um elf Uhr diesen Abend!

CHOR
Nun kommt, nun kommt!
Ding, dong, es ruft der Glocke Ton,
die Mädchen und die Knaben.
Zu Paaren ziehn sie in die Kirche,
ding dong, schon ist die Sonne
beinahe untergegangen.

Ding, dong,
unsre Mütter beobachten uns,
seht euch vor, ihr Freunde!
Ding dong, und alles glühet hell
vor Liebe und vor Licht!
Doch die Alten bewachen
die mutigen Liebenden.
Ding, dong, usw.
(Während des Chores geht Canio in das Theater, um
sein Bajazzokostüm abzulegen. Dann kehrt er zurück
und geht, nachdem er sich lächelnd von Nedda
verabschiedet hat, mit Beppe und fünf oder sechs
Bauern hinaus. Nedda bleibt allein zurück.)

Zweite Szene

NEDDA
Wie flammte auf sein Auge!
Ich senkte die Blicke zur Erde, voller Furcht,
daß er meine geheimen Gedanken lesen könne!
Oh, wenn er mich überraschte, brutal, wie er ist!
Doch genug, er ist weg.
Diese Gedanken sind furchtbar und wirr!
Oh, diese schöne Sonne des Augusts!
Ich bin so voll von Leben und, voll von Sehnen,
geheimen Wünschen, die ich nicht kenne!
(Sie schaut zum Himmel.)
Oh! Wie die Vögelein fliegen, und wie sie singen!
Was singen sie? Wohin fliegen sie? Wer weiß?...
Meine Mutter, die die Zukunft weissagen konnte,
verstand ihr Singen
und sang zu mir in der Kindheit:
Hui! Dort oben rufend, frei
im Fluge sich vergessend, wie Pfeile fliegen die Vögel.

Sie achten weder Wolken noch die strahlende Sonne,
fliegen auf den Wegen des Himmels dahin.
Laß sie durch den Himmel fliegen,
auf der Suche nach Bläue und Glanz;
jeder folgt einem Traum, einem Wunsch,
wenn sie durch goldene Wolken fliegen!
Wie der Wind auch weht und der Donner rollt,
mit offenen Schwingen trotzen sie allem;
dem Regen, den Blitzen, nichts kann sie aufhalten,
sie fliegen über Abgrund und Meer.
Sie machen sich auf in ein fremdes Land,
von dem sie träumen und das sie vergebens suchen.
Doch die Wanderer des Himmels
folgen einer geheimen Macht, die sie fortzieht.
(Während des Liedes ist Tonio eingetreten und hat fröhlich
zugehört. Nedda dreht sich, als sie das Lied beendet hat, um.)

Du hier? Ich glaubte, du seiest gegangen!

TONIO
Mich fesselte dein Singen.
Ich bin bezaubert und froh!

NEDDA
Ha, Ha! Welche Poesie.

TONIO
Lache nicht, Nedda!

NEDDA
Geh, geh zum Wirtshaus!

TONIO
Ich weiß gut, daß ich ein Narr, entstellt bin ich;
ich verursache nur Spott und Furcht.
Doch hab’ ich auch Gefühle, Träume und Wünsche
und ein lebendiges Herz!
Nun begegnest auch du mir mit Verachtung;
du kennst nicht die Tränen, die der Schmerz mir bringt!
Weil ich, allem zum Trotze, so bald bezaubert war,
daß Liebe mich nun quält!
Oh, laß mich dir sagen!

NEDDA
Mich liebst du?
Bewahr deine Schwüre dir,
sag heut abend sie auf!
Im Anblick des Publikums,
dort, auf der Bühne!

TONIO
Lache nicht, Nedda!

NEDDA
Spare dir diese Schmerzen!

TONIO
Nein, jetzt will ich es dir sagen,
und du mußt nun es hören,
daß ich dich liebe und begehre,
und daß du mein sein wirst!

NEDDA
Heh! Sage Meister Tonio,
jucket dich heute das Fell,
oder soll ich dir an den Ohren ziehen,
um deine Glut zu kühlen?

TONIO
Du spottest? Du Hexe!
Beim Kreuze Gottes!
Hüte dich, das sollst du teuer zahlen!

NEDDA
Willst du, daß ich gehe
und Canio rufe?

TONIO
Nicht bevor ich dich geküßt hab’!

NEDDA
Hüte dich!

TONIO
(Er will auf Nedda zustürzen.)
Oh, bald wirst du mein sein!

NEDDA
(Sie ergreift eine Peitsche, die Beppe zurückgelassen
hat, und schlägt Tonio mit aller Kraft in das Gesicht.)

Du Elender!

TONIO (schreit und fällt)
Bei der himmlischen Jungfrau,
Nedda, ich schwöre ... das bezahlst du mir!
(Dann geht er drohend hinaus.)

NEDDA
Schlange! Geh! Du hast dich nun verraten!
Tonio der Narr!
Deine Seele ist wie dein Körper – entstellt – dreckig!
(Silvio kommt und ruft leise.)

SILVIO
Nedda!

NEDDA
Silvio! Zu dieser Stunde – wie unvorsichtig!

SILVIO
Ah, bah! Sei ruhig, denn ich wage nichts.
Canio und Beppe sind lang in der Taverne,
ich habe sie dort gesehen! Voller Vorsicht kam ich
durch die Wälder, die ich kenne, her.

NEDDA
Und beinahe hättest du Tonio noch getroffen!

SILVIO
Oh! Tonio der Narr!

NEDDA
Vor dem Narren muß man sich hüten!
Er liebt mich. Gerade jetzt gestand er’s,
und wie ein Tier in wildem Rasen
verlangte er einen Kuß und drang auf mich ein!

SILVIO
Hilf Gott!

NEDDA
Doch mit der Hundepeitsche
kühlte ich die Glut.

SILVIO
Und in diesem Unglück willst du ewig leben?
Nedda! Nedda!
Entscheide du mein Schicksal,
Nedda, Nedda, bleibst du?
Du weißt, das Fest geht zu Ende
und alle ziehn morgen davon.
Nedda! Nedda!
Und wenn du von hier fortgezogen bist, was wird
dann aus mir, aus meinem Leben?

NEDDA
Silvio!

SILVIO
Nedda, Nedda, gib Antwort mir,
Wenn es stimmt, daß du Canio nicht mehr liebst,
wenn es stimmt, daß du haßt
dieses Wanderleben, das du führst,
wenn deine gewaltige Liebe nicht eine Lüge ist,
so laß uns fliehen heut nacht! Fliehe, Nedda mit mir!

NEDDA
Dränge mich nicht! Willst du mein Leben zerstören?
Nein, Silvio, sag nichts ... es ist verrückt und toll!
Ich vertraute mich dir an, dir schenkte ich mein Herz!
Mißbrauche mich nicht, nicht meine Liebesglut!
Dränge mich nicht! Mitleid mit mir!
Dränge mich nicht! Und dann, wer weiß. Es ist besser, zu gehen.
Das Schicksal ist gegen uns, und was wir sagen, vergebens!
Doch aus meinem Herzen kann niemand dich mehr reißen,
nur für diese Liebe will ich leben, die du in mein Herz gebracht!

SILVIO
Ah, Nedda, fliehen wir!

NEDDA
Dränge mich nicht! Willst du mein Leben zerstören?
usw.

SILVIO
Nedda, bleibe!
Denn was wird dann aus mir, wenn du gegangen bist?
Bleibe, Nedda! Fliehen wir! So komm!
Ah! Fliehe mit mir! So komm!
Nein, du liebst mich nicht mehr!

TONIO
(beobachtet sie heimlich)
Ah! Du bist gefangen, Dirne!

NEDDA
Doch, ich lieb’ dich, ich lieb’ dich!

SILVIO
Und gehst doch morgen fort?
Und warum dann, sage, hast du mich verhext,
wenn du mich ohne Gnade verläßt?
Und jenen Kuß, warum gabst du ihn mir
mit solcher glühenden Leidenschaft?
Wenn du die seligen Stunden vergaßest,
ich kann es nicht und will noch immer
solches Liebesglühen, solche heißen Küsse,
die mein Herz in Fieber erglühen lassen!

NEDDA
Nichts hab’ ich vergessen, ich bin verwirrt und verstört
durch diese Liebe, die aus den Augen dir blitzt!
Nur mit dir will ich immer leben, verzaubert,
ein Leben voll Liebe, ruhig und voll Frieden!
Dir geb’ ich mich, du allein besitzt mich.
Und dich nehme ich und vergesse mich ganz!

NEDDA und SILVIO
Alles wollen wir vergessen!

NEDDA
Schau mir in die Augen!
Küsse mich! Alles wollen wir vergessen!

SILVIO
Du kommst?

NEDDA
Ja, küsse mich!

NEDDA und SILVIO
Ja, ich seh’ dich an und küsse dich!
Ich liebe dich! Ich liebe dich!
(Während Nedda und Silvio sich der Mauer im
Hintergrunde nähern, kommen heimlich Canio und Tonio.)

TONIO
Schleich leise, und du wirst sie finden.

SILVIO
Um Mitternacht wirst du mich hier treffen.
Komm leise herunter, und du wirst mich finden.
(Silvio steigt über die Mauer.)

NEDDA
Bis Mitternacht, und für immer bin ich dein!

CANIO
Ah!

NEDDA
Fliehe!
(Canio springt ebenfalls über die Mauer und verfolgt Silvio.)
Hilf ihm, Herr!

CANIO
(von draußen)
Feigling! Versteckst du dich?

TONIO
(zynisch lachend)
Ha!... Ha!...

NEDDA
Bravo! Bravo, mein Tonio!

TONIO
Ich tu was ich kann.

NEDDA
Das, was ich mir dachte!

TONIO
Ich hoffe noch besseres zu tun.

NEDDA
Mich ekelt und schaudert vor dir!

TONIO
Oh, du weißt bestimmt.
wie froh mich das macht.
(Canio kommt zurück. Er schäumt vor Wut.)

CANIO
(wütend)
Schimpf und Spott! Nichts!
Er kennt seine Wege gut.
Macht nichts, denn den Namen des Schurken
wirst du mir nun sagen!

NEDDA
Wer?

CANIO
(zornig)
Du, beim himmlischen Vater!
(zieht einen Dolch aus seinem Gürtel)
Und wenn ich dich in diesem Moment
nicht schon umgebracht habe, so nur, weil du,
bevor ich mit deinem stinkenden Blut, o Schamlose,
den Dolch beflecke, seinen Namen wissen will! Rede!

NEDDA
Umsonst bedrohst du mich. Meine Lippen sind verschlossen.

CANIO
Den Namen, den Namen! Zögere nicht, Weib!

NEDDA
Nein, ich werde ihn nicht nennen!

CANIO
(nähert sich ihr mit gezücktem Dolch)
Bei der Madonna!
(Beppe kommt herbei und nimmt Canio das Messer aus der Hand.)

BEPPE
Herr! Was tust du! In Gottes Namen!
Die Leute kommen aus der Kirche und eilen hierher
zum Schauspiel! Gehen wir schnell; beruhige dich!

CANIO
(reißt sich los)
Laß mich, Beppe! Den Namen! Den Namen!

BEPPE
Tonio,
komm und halte ihn. Gehen wir, das Publikum kommt!
(Tonio nimmt Canio bei der Hand, während Beppe auf
Nedda zugeht.)
Sprecht euch später aus. Und zieh dich zurück.
Geh und kostümiere dich.
Ich weiß, Canio ist jähzornig, aber gut!
(Beppe führt Nedda in das Theater und verschwindet mit ihr.)

CANIO
Betrug! Betrug!

TONIO
Beruhige dich, Herr! Es ist besser, ruhig zu sein;
der Geliebte wird zurückkommen. Vertraue mir!
Ich bewache sie. Nun ist Zeit zur Vorstellung.
Wer weiß, ob er nicht zur Vorstellung
kommt und sich verrät! Man wird sehen.
Man muß ruhig sein, um Erfolg zu haben!

BEPPE
(kommt zurück)
Gehen wir, kostümiere dich, Herr.
Und du schlage die Trommel, Tonio!
(Tonio und Beppe gehen hinaus. Canio bleibt allein und
verzweifelt auf der Szene.)

CANIO
Jetzt spielen! Wo mich Wahnsinn umkrallet!
Ich weiß nicht mehr, was ich sage und was ich tue!
Doch ich muß mich zusammennehmen!
Bah! Bist du nicht ein Mann!
Du bist Bajazzo!
Hüll dich in Tand nur.
Die Leute zahlen und wollen lachen hier.
Und wenn dir Harlekin die Colombine raubt,
lache, Bajazzo, und jeder applaudiert!
Verwandle in Witze die Schmerzen
und die Tränen, und Weh!
Lache, Bajazzo, über die zerbrochene Liebe.
Lache über den Schmerz, der das Herz dir vergiftet.
(Er geht verzweifelt durch den Vorhang ab.)

Intermezzo

ZWEITER AKT

Dieselbe Szenerie wie im ersten Akt.

(Alle handelnden Personen sind auf der Szene. Nach
und nach kommt das Publikum an.)

FRAUEN
Ohe! Ohe!
Schnell, beeilt euch flink, Freunde!
Das Schauspiel muß
gleich beginnen.
Laßt uns nach Plätzen
ganz vorne suchen.

TONIO
Ja, von Anfang an.
Beeilt euch! Beeilt euch!

MÄNNER
Ah, seht,
wie die Jungen rennen!
Laßt
die älteren Damen sitzen.
Gott, wie sie laufen,
um noch zurechtzukommen!

TONIO
Nehmt Platz!

CHOR
Wir suchen Plätze!
Vorn ist es besser!
Laßt uns nach Plätzen
ganz vorne schauen,
denn das Schauspiel
fängt gleich an!

TONIO
Schnell!
Nehmt Platz, los!

FRAUEN
So drängt doch nicht,
nehmt Platz!
He, Beppe, hilf uns.
Hier ist ganz nahe noch Platz!

EIN TEIL DES CHORES
Komm hierher! Mach rasch!
Es kann beginnen.
Warum zögert ihr?
Wir sind alle da!

BEPPE
Welch Aufruhr, zum Teufel!
Bezahlt erst.
Nedda, kassiere!

EIN ANDERER TEIL DES CHORES
He, sie streiten sich!
Wir rufen um Hilfe!
Doch kommt, setzt euch hin
ohne Geschrei!

SILVIO
Nedda!

NEDDA
Sei vorsichtig!
Er hat dich nicht gesehen.

SILVIO
Ich werde kommen und dich erwarten.
Vergiß es nicht.

CHOR
Hierher! Hierher!
Fangt endlich an!
Warum dies Zögern?
Beginnt mit der Komödie!
Wir schlagen Lärm!

Es ist schon längst elf Uhr!
Auf das Spektakel wartet ein jeder! Ah!
Der Vorhang hebt sich!
Ruhe! Paßt auf!

DIE KOMÖDIE
Nedda (Colombine) - Beppe (Harlekin)
Canio (Bajazzo) - Tonio (Taddeo)

(Der Vorhang des Theaters hebt sich. Die Szene stellt
eine Kammer mit einem Tisch und zwei Stühlen dar.
Nedda im Kostüm der Colombine läuft aufgeregt hin
und her.)


NEDDA
(Colombine)
Bajazzo, mein Gatte,
kommt erst spät in der Nacht nach Haus.
Und jener Dummkopf von Taddeo,
warum ist er noch nicht zurück?

DIE STIMME VON BEPPE
(Harlekin)
Colombine, der liebe
treue Harlekin
ist dir nahe!
Nach dir rufend,
und hoffend wartet der Arme!
Zeig mir dein Gesichtchen,
das ich ohne Pause
küssen will,
dein liebes Mündchen.
Die Liebe quält mich, ich bin verwirrt!
Ah! Colombine,
öffne mir das Fenster,
damit ich dir nahe bin.
Nach dir rufend,
nach dir verlangend, ist hier der arme Harlekin!
Dir nah ist Harlekin!

NEDDA
(Colombine)
Das wohlbekannte Zeichen zu geben, nähert sich
der Augenblick, den Harlekin erwartet!
(Nedda setzt sich an den Tisch, mit dem Rücken zur Tür.
Tonio, verkleidet als Taddeo, tritt ein. Nedda sieht ihn
nicht. Er bleibt unbemerkt stehen und beobachtet)

TONIO
(Taddeo)
Sie ist es! Gott, wie schön sie ist!
(Das Publikum lacht.)
Wenn ich der Holden nun
meine Liebe offenbarte,
die selbst einen Stein erweichte!
Weit ist ihr Mann.
Warum es nicht wagen?
Wir sind allein
und ohne jeden Verdacht!
Also, versuchen wir es!
(Tief seufzend nähert er sich. Das Publikum lacht.)

NEDDA
(Colombine)
(dreht sich um)

Bist du es, Biest?

TONIO
(Taddeo)
Der bin ich, ja!

NEDDA
(Colombine)
Und Bajazzo ist gegangen?

TONIO
(Taddeo)
Er ist davon!

NEDDA
(Colombine)
Warum stehst du wie angewurzelt?
Du hast das Huhn gekauft?

TONIO
(Taddeo)
Hier ist es, göttliches Wesen!
(Er stürzt auf die Knie und hält Nedda den Korb hin.)
Und weiter, hier sind wir beide zu deinen Füßen!
Denn endlich ist die Stunde gekommen o Colombine,
dir mein Herz zu offenbaren! Willst du mich anhören?
Seit dem Tag...

NEDDA
(Colombine)
(nimmt den Korb)
Wieviel hast du für das Essen bezahlt?

TONIO
(Taddeo)
Einsfünfzig! Seit jenem Tag fühlt mein Herz...

NEDDA
(Colombine)
Erzürne mich nicht, Taddeo!
(Harlekin schwingt sich durch das Fenster und stellt
eine Flasche auf den Tisch, dann geht er zu Taddeo, der
ihn noch nicht gesehen hat.)

TONIO
(Taddeo)
Ich weiß, daß du rein bist,
und keusch wie frischer Schnee!
Und so streng du auch zu mir bist,
vergessen kann ich dich nicht!

BEPPE
(Harlekin)
(zieht Taddeo an den Ohren und gibt ihm einen Klaps.)

Geh an die frische Luft!
(Das Publikum lacht.)

TONIO
(Taddeo)
(den Clown spielend, zieht er sich zurück)
Himmel! Sie lieben sich! Ich füge mich eurem Willen.
Ich segne euch! Ich werde euch bewachen!
(Taddeo geht hinaus, das Publikum applaudiert.)

NEDDA
(Colombine)
Harlekin!

BEPPE
(Harlekin)
Colombine!
Endlich erhört Amor unsre Bitten!

NEDDA
(Colombine)
Laß uns essen!
(Sie setzen sich gegenüber an den Tisch.)
Sieh, mein Geliebter,
welch ein herrliches Essen ich bereitet habe!

BEPPE
(Harlekin)
Sieh, meine Geliebte,
welch göttlichen Nektar ich dir gebracht habe!

BEIDE ZUSAMMEN
Ah! Die Liebe liebt die Düfte
des Weines und der Küche!

BEPPE
(Harlekin)
Meine naschhafte Colombine!

NEDDA
(Colombine)
Liebenswerter Säufer!

BEPPE
(Harlekin)
(nimmt ein Fläschchen heraus)
Nimm dieses Schlafmittel;
gib es Bajazzo, bevor er sich zu Bette legt,
und dann fliehen wir gemeinsam!

NEDDA
(Colombine)
Ja, gib es.
(Taddeo stürzt aufgeregt herein.)

TONIO
(Taddeo)
Achtung!
Bajazzo ist da, völlig von Sinnen, er sucht eine Waffe...
Er weiß alles! Ich laufe und verstecke mich!
(Taddeo verschwindet unverzüglich und schließt die Tür.)

NEDDA
(Colombine)
(zu Harlekin)

Fort!

BEPPE
(Harlekin)
(springt aus dem Fenster)

Schütte das Mittel in seine Tasse.
(Canio im Kostüm des Bajazzo tritt herein.)

NEDDA
(Colombine)
Bis heut nacht! Und für immer bin ich dein!

CANIO
(Bajazzo)
(Himmel! Dieselben Worte!
Mut jetzt!) Ein Mann war bei dir!

NEDDA
(Colombine)
Wie verrückt!
Bist du betrunken?

CANIO
(Bajazzo)
Betrunken! Ja, seit einer Stunde!

NEDDA
(Colombine)
Du bist früh zurück!

CANIO
(Bajazzo)
(bedeutungsvoll)
Aber zur rechten Zeit! Betrübt es dich?
Tut es dir leid, süße Gattin?
(mit der Komödie fortfahrend)
Ah! Ich glaube dich allein,
und zwei Plätze sind dort!

NEDDA
(Colombine)
Bei mir saß Taddeo,
der sich vor Angst versteckt hat.
(gegen die Tür)
Nun, sprich!

TONIO
(Taddeo)
Glaube ihr! Glaube ihr! Sie ist rein.
Und solche reinen Lippen würden niemals lügen!
(Das Publikum lacht auf.)

CANIO
(zum Publikum)
Zur Hölle!
(zu Nedda)
Hört auf! Auch ich habe das Recht zu handeln
wie jeder andre Mann! Seinen Namen!

NEDDA
(lachend)
Wessen?

CANIO
Ich will den Namen deines Geliebten,
des infamen Schurken, dem du dich in die Arme
geworfen hast, o schlechtes Weib!

NEDDA
(ihre Rolle weiterspielend)
Bajazzo! Bajazzo!

CANIO
Nein! Bin Bajazzo nicht bloß, wenn das Gesicht auch weiß ist,
so ist’s vor Wut und Verlangen nach Rache!
Der Mann verlangt seine Rechte, und das blutende Herz
fordert Blut, um die Schande wegzuspülen,
Verfluchte! Nein, bin Bajazzo nicht bloß!
Ich bins, der gutmütig dich
als Waise von der Straße holte,
nahe dem Hungertode, und einen Namen dir bot
und eine Liebe, die heiß und verrückt war!

FRAUEN
Himmel, er macht mich weinen!
So wahr ist diese Szene!

MÄNNER
Leise dort!
Was für Schwätzerinnen!

SILVIO
(zu sich)
Ich kann mich kaum noch halten!

CANIO
Ich hoffte, so blind war ich vor
Verwirrung, wenn nicht auf Liebe,
so auf Mitleid, Gnade!
Jedes Opfer brachte ich frohen
Herzens, ich gab dir
die Hand, vertraute treu
mehr dir als Gott selber!
Doch nur Übel fand Platz
in deinem schuldigen Herzen;
du kennst kein Fühlen,
Gesetz sind dir nur die Sinne!
Geh, du bist meinen Schmerz nicht wert,
du verworfene Dirne!
Mit all meinem Haß will ich dich
unter meinen Füßen zertreten!

DIE MENGE
Bravo!

NEDDA
(voll Angst, aber ernst)
Gut! Wenn du glaubst, daß ich deiner nicht
wert bin, so wirf mich auf der Stelle hinaus!

CANIO
(höhnisch)
Ah! Ah! Das hättest du besser nicht gesagt;
sogleich zu deinem Geliebten zu laufen.
Du bist schlau! Nein! Bei Gott, du bleibst,
und den Namen deines Liebhabers wirst du gleich mir nennen!

NEDDA
(versucht, das Spiel fortzusetzen)
Komm nun, so etwas Grausames
kann ich von dir nicht glauben!
Daß hier nichts Tragisches geschehen,
komm, sagt es ihm, Taddeo!
Daß der Mann, der bei mir gesessen, der eben bei mir saß,
nur der furchtsame und schüchterne Harlekin war!

(Ihr Lachen erstirbt beim Anblick des rasenden Canio.)

CANIO
(schäumend vor Wut)
Ah! Verhöhnst du mich? Und hast du noch nicht begriffen,
daß ich dir nicht nachgebe? Den Namen oder dein Leben! Den Namen!

NEDDA
Ah! Nein, bei meiner Mutter! Verworfen mag ich sein,
wenn du willst, aber niemals eine Verräterin, bei Gott!

BEPPE
Wir müssen gehen!

TONIO
Schweige, du Narr!

NEDDA
Je mehr du tobst, desto stärker wird meine Liebe!
Ich werde nichts sagen! Nein! Und koste es das Leben!
(Ein Murmeln geht durch die Menge.)

CANIO
(schreiend greift er nach einem Messer)
Den Namen!

NEDDA
Nein!

SILVIO
(zückt den Dolch)
Gerechter Gott!
Er will...

(Canio stürzt sich in blinder Raserei auf Nedda zu und
ersticht sie mit dem Dolch.)

BEPPE und DIE MENGE
Was machst du?

CANIO
Das dir!

NEDDA
Ah!

CANIO
Und das dir!

BEPPE und DIE MENGE
Halt ein!

CANIO
Im Todeskampf
wirst du ihn nennen!

NEDDA
Zu Hilfe! Silvio!

SILVIO
(stürzt sich auf die Szene)
Nedda!

CANIO
(stürzt sich wie eine Furie auf Silvio und ersticht ihn
ebenfalls)
Ah! Du bist es! Willkommen!
(Silvio fällt wie vom Blitz getroffen.)

DIE MENGE
Jesus und Maria!
(Mehrere Männer nähern sich Canio, um ihn zu
entwaffnen. Er steht völlig zerstört, der Dolch fällt ihm aus den Händen.)

CANIO
Die Komödie ist zu Ende!

ENDE
 

 

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