Roméo et Juliette” by Charles Gounod libretto (German)

Besetzung

ESCALUS, Fürst von Verona (Bass)
GRAF PARIS, ein Verwandter des Fürsten (Bariton)
GRAF CAPULET (Bass)
JULIA, seine Tochter (Sopran)
GERTRUD, ihre Amme (Alt)
TYBALT, Capulets Neffe (Tenor)
ROMEO, aus dem Hause Montague (Tenor)
STEPHANO, sein Page (Sopran)
BENVOLIO, Romeos Freund (Tenor)
MERCUTIO, Romeos Freund (Bariton)
BRUDER LORENZO, ein Franziskaner (Bass)
BRUDER GIOVANNI (Bass)
GREGORIO, Capulets Diener (Bariton)

Hofdamen und Edelleute, Ball- und Hochzeitsgäste,
Gefolge des Fürsten, Bewaffnete, Dienerschaft, Händler, Volk

Ort und Zeit: zu Beginn des 15. Jahrhunderts

Ouvertüre

PROLOG

CHOR
Verona sah dereinst zwei feindliche Familien,
die Montagues und die Capulets.
Ihre endlosen Kriege, beiden gleich verderblich,
brachten Blut auf die Schwellen ihrer Paläste.
Wie nach Gewitternacht ein Lichtstrahl leuchtet,
erschien Julia, und Romeo liebte.
Und beide machten sie Ende allem Haß,
und gleiche Liebe sie entflammte.
Fort unheilvoller, blinder Haß!
Die unglücklichen Liebenden sollen mit dem
Tod erkaufen
das Ende ihrer Väter ewigen Haß,
die ihre Liebe wachsen sahen!

ERSTER AKT

Der Ball der Capulets
(Ein glänzend erleuchteter Festsaal im Palast der
Capulets. Herren und Damen, in Dominos und Masken.)

Nr. 1 Einleitung

CHOR
Fröhlich heitere Stunden
sind schnell entschwunden,
ergreift sie, bevor sie verwehen!
Pflücket die Rosen,
die für uns erblühten
in der Freude und im Glück!
(die Männer)
Wunderbarer Chor
der Liebe
unter der Maske
von Seide
zieht uns an.
Dein Bild
mit einem Lächeln,
mit einem Blick.
Und, Komplize,
lehrst auf Zufall bauen
und vertrauen
dem Maskenscherz

(die Damen)
Nacht des Rausches
und der Tollheit.
Händedrücken,
Jagd der Herzen!
Selbst der Spröde
gibt sich auf
und fängt sich ein
in unserem Netz.
Wenn die Schöne
immer lacht,
gibt er froh sich
diesem Laute hin.
(Alle)
Fröhlich heitere Stunden, usw.
(Tybalt und Paris, ihre Masken in den Händen haltend, treten auf.)

TYBALT
Nun, werter Paris! Wie erscheint
Euch das Fest der Capulets?

PARIS
Glanz und Schönheit im Verein
sind Gäste des Palastes hier.

TYBALT
Ihr habt noch nicht gesehen das Wunder,
das einzigartige Kleinod,
das man Euch Glücklichem bestimmt hat.
Das einzigartige Kleinod, das Paris bestimmt ist.
Doch seht nur! Sie naht, ihr Vater führt sie.
(Capulet führt Julia am Arm in den Festsaal. Bei seinem
Anblick nehmen alle die Masken ab.)

CAPULET
Seid mir alle willkommen in meinem Haus!
Bei diesem Feste der Familie
schwingt die Freude das Panier!
Denn abermals tritt mein Kind ins Leben ein!
Mein Herz klopft noch einmal voller Freude,
wenn ich daran denke!
Doch verzeiht mir meine offene Zärtlichkeit.
(Julia vorstellend)
Hier ist meine Julia!
Sei sie Eurer Huld empfohlen.

DIE MÄNNER (mit Bewunderung)
Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist!
Wie eine junge Blume,
die sich am Morgen öffnet!
DIE DAMEN
Oh, wie schön sie ist! Oh, wie schön sie ist!
Sie scheint in sich zu vereinen
alle Vorzüge des Schicksals!

ALLE
Ah, wie schön sie ist! Wie schön sie ist!
(Man hört das Vorspiel zu einem Tanz.)

JULIA
Hört! hört!
Wohl den Ton fröhlicher Instrumente,
die einladend uns rufen!
Ah! –
Eine zauberhafte Welt tut sich vor meinen
Augen auf!
Alles blendet und berauscht mich!
Und meine verzauberte Seele
sehnt nach dem Leben sich
wie ein Vogel nach dem freien Himmel!

CAPULET
Wohlan! Ihr jungen Leute!
Wohlan! schöne Damen!
Diese Augen voller Glut
laßt erglühen!
Achtet nicht auf jene Krittler,
die unablässig grollen!
Feiert Eure Jugend,
und jetzt Platz zum Tanz!
Wer an seinem Platze bleibt
und nicht tanzt,
macht das Geständnis
daß er sich langweilt.
Wer an seinem Platze bleibt, usw.
Oh tiefes Bedauern!
Wär’ ich jung nur so wie Ihr,
selbst würd’ ich führen an
diesen fröhlichen Reigen!
Schmeichelnde Worte
wüßt’ ich wohl zu sagen!
Erinnern mich wohl
der glühenden Wünsche!
Oh glückliche Jahre,
die die Zeit geraubt!
Oh Blüte der Jugend,
auf immer verweht!
Wohlan! Ihr jungen Leute! usw.
Achtet nicht auf jene Krittler, usw.

CHOR
Verachtet die Krittler,
die unablässig grollen!
Freuen wir uns unserer Jugend!
Platz jetzt zum Tanz!
(Alle verteilen sich jetzt auf die benachbarten Galerien.
Julia geht am Arm des Paris aus dem Saal. Tybalt und
Capulet folgen ihnen plaudernd. Romeo und Mercutio,
in Gesellschaft von Freunden, erscheinen.)

MERCUTIO
Die Luft ist endlich rein, Freunde!
Für einen Augenblick mag es erlaubt sein,
die Masken abzunehmen.

ROMEO
Nein! ... Nein! Ihr habt es versprochen;
Laßt uns vernünftig sein! Niemand darf uns
erkennen.
Verlassen wir dies Haus, ohne seinen Herrn
zu reizen.

MERCUTIO
Bah! Sind die Capulets auch gleich voller Zorn,
so wär’ es doch feige, sich zu verstecken.
(an sein Schwert schlagend)
Wir haben doch alles, ihren Mut zu kühlen!
(mit Chor)
Ja! Wir haben doch alles, ihren Mut zu kühlen!

ROMEO
Besser wär’s gewesen, hätten wir ihr Haus
nie betreten!

MERCUTIO
Warum?

ROMEO (geheimnisvoll)
Ich hatte einen Traum!

MERCUTIO
(mit einem komischen Schrecken)
Welch’ warnendes Gesicht!
Königin Mab hat dich besucht?

ROMEO (erstaunt)
Wie das?

Nr. 2 Ballade der Königin Mab

MERCUTIO
Mab, die Königin der Tränen,
beherrscht die Träume;
Leichter fliegend
als der Wind,
durch die Räume,
durch die Nacht,
sie weicht,
Sie flieht!
Ihr Wagen, schnell wie ein Lichtstrahl
durch den lichten Äther dringt,
aus Haselnuß ihn nagte mit Geschick
der Meister Wurm!
Das Versteck aus Grillenflügeln,
von Spinnen Flügel fein gewirkt,
es lenkt ihn über Wolken
als Kutscher die Mücke!
Der Stiel seiner Peitsche
ist das zerbrechliche Gebein des Heimchens,
die Zügel nur ein Strahl des Monds,
wenn Phoebe Hoftag hält!
Jede Nacht in ihrem Wagen
besucht Mab, auf ihrer Runde,
den Gatten, der von neuem Bunde träumt
und den Liebenden, der von Liebe träumt!
Wenn sie sich naht, träumt die Kokette
von glänzendem Schmuck und Toilette.
Der Hofschranze neigt sich im Bückling,
der Dichter schmiedet seine Verse!
Dem Geizigen auf dunklem Lager
reicht sie Schätze ohne Zahl,
die Freiheit lacht dem Gefangenen,
der im Dunkeln in Ketten liegt.
Der Soldat träumt von Hinterhalten,
von Schlachten und wilden Kämpfen.
Sie füllt ihm die Gläser bis zum Rande
als Ehrentrunk seiner Triumphe.
Das Seufzen dir vergeht,
wenn auf dem Nachtlager du ruhst,
oh, Jungfrau! sie streichelt deinen Mund
und läßt dich von Küssen träumen!
Mab, die Königin des Trugs, usw.

Nr. 2a Rezitativ und Szene

ROMEO
Nun wohl! ... Ob diese Mahnung
kam von Mab oder sonst woher,
unter diesem Dach, das nicht das unsere,
fühl’ von schwerer Ahnung ich mich bedrückt!

MERCUTIO (scherzhaft)
Deine Traurigkeit, denk’ ich, rührt daher,
daß deine Rosalinde nicht hier ist;
hundert andere auf diesem Fest jedoch
lassen dich vergessen deinen Schülerstreich!
Komm!

ROMEO (nach draußen blickend)
Ha! Sieh nur!

MERCUTIO
Was ist denn?

ROMEO
Die holde Schönheit dort,
die wie ein Lichtstrahl ist in dunkler Nacht!

MERCUTIO
Die Anstandsdame, die ihr folgt,
ist von bescheidener Schönheit.

ROMEO (mit Leidenschaft)
Oh, dieses himmlische Kleinod!
Welche Klarheit hat plötzlich meine Augen geöffnet?
Nie habe ich wahre Schönheit gekannt!
Hab’ ich je geliebt zuvor? Hab’ ich je geliebt? ...

MERCUTIO
(lachend zu Benvolio und zu anderen jungen Leuten)
Gut! Und Rosalinde ist zum Teufel!
Wir haben es schon vorher gewußt!

FREUNDE DES ROMEO
Wir haben es schon vorher gewußt!

MERCUTIO
Unbetrauert gehet
sie nach Hause,
eh’ man sich’s versieht,
ist die Komödie aus!

FREUNDE DES ROMEO
Unbetrauert gehet, usw .
(Mercutio nimmt Romeo mit, als Julia von Gertrude
gefolgt erscheint.)

JULIA
Seht nur, Amme, man harrt meiner!
Sagt schnell.

GERTRUDE
Schöpft nur Atem!
(tückisch)
Oder stör’ ich gar?
Ist es Paris, den Ihr sucht?

JULIA (lässig)
Paris?

GERTRUDE
Ihr habt, wie man sagt,
die Perle der Männer!

JULIA (lachend)
Ha! ha!
Ich träume wirklich vom Heiraten!

GERTRUDE
Ich schwör’ ich war verheiratet in Eurem Alter!

JULIA
Nein! nein, – ich möchte doch nicht länger hören –
Lass’ meiner Seele ihren Frühling!

Nr. 3 Ariette

JULIA
Ah! –
Ich will leben
in diesem Traum, der mich umgibt;
leben noch lange.
Süße Flamme,
ich hüte dich in meiner Seele
wie einen Schatz!
Ich will leben, usw.
Dieser Rausch
der Jugend
dauert nur einen Tag!
Dann kommt die Stunde,
in der man weint.
Die Liebe zieht in die Herzen ein,
und das Glück entflieht.
Ah! – Ich will leben, usw.
Fern vom kalten Winter
lass’ mich träumen
und den Duft der Rose atmen,
den Duft der Rose atmen
bevor sie welkt.
Ah! – Ah! – Ah! –
Süße Flamme,
ich hüte dich in meiner Seele
wie einen süßen Schatz,
noch lange.
Ah! – Wie ein Schatz
noch lange!

Nr. 3a Rezitativ

(Gregorio erscheint und trifft auf Romeo.)

ROMEO
(zu Gregorio, indem er auf Julia weist)
Wer ist dies schöne Kind?

GREGORIO
Ihr fragt noch? Es ist Gertrude.

GERTRUDE (sich umwendend)
Was gibt’s?

GREGORIO (zu Gertrude)
Verehrte Dame!
wegen des Gastmahls wird nach Euch
gefragt.

GERTRUDE (ungeduldig)
’s ist gut! Hier bin ich!

JULIA
Geh nur.
(Gertrude mit Gregorio ab. Romeo erreicht Julia in dem
Moment, da sie gehen will.)

ROMEO
Ich bitt’ Euch, bleibt.

Nr. 4 Madrigal (zweistimmig)

ROMEO
Heil’ger Engel,
meine schuldige Hand
entweihte, indem sie zu berühren wagte,
die göttliche Hand,
die niemand
zu berühren wagen darf!
Doch seht, ich denke,
daß die Strafe

die mir auferlegt,
heißt tilgen
die unwürdige Spur
der Hände mit einem Kuß!

JULIA
Laßt ab von Euren Sorgen!
Diese Umarmungen
des demütigen Pilgers
haben selbst die Heiligen,
wenn er liebt,
ihm von vorhinein vergeben.
(ihre Hand zurückziehend)
Doch seinem Mund
muß sie die Hand
füglich entziehen.
Diese Zärtlichkeit
voll Zauber
gewähren darf sie nicht den Kuß!

ROMEO
Den Heil’gen sind doch Lippen auch gegeben ...

JULIA
Nur um zu beten!

ROMEO
Hören Sie nicht die Stimme, die Ihnen sagt,
das zu beenden?

JULIA
Ihr Herz ist Liebesbitten fest verschlossen,
selbst wenn Sie sie zugestehen!

ROMEO
So erhört denn meine Wünsche,
mein Mund nimmt, was er erfleht.
(Er küßt Julias Hand.)

JULIA (lächelnd)
Nicht konnt’ ich mich verteidigen!
So kam die Sünde auf mich!

ROMEO
Um Euch zu beruhigen,
wollt’ Ihr diese Sünde mir zurückgeben?

JULIA
Nein! ich behalte sie! Laßt sie mir!

ROMEO
Ihr habt sie genommen! Gebt sie zurück!

JULIA
Nein! ich behalte sie! Laßt sie mir! usw.

ROMEO
Ihr habt sie genommen! Gebt sie zurück! usw.

Nr. 5 Finale

ROMEO
Wer kommt?
(setzt die Maske wieder auf)

JULIA
Mein Vetter Tybalt.

ROMEO
Oh Gott! wer seid Ihr? ...

JULIA
Die Tochter Capulets.

ROMEO (beiseite)
Gott!

TYBALT (sich nähernd)
Verzeiht, Cousine! ...
Unsere Freunde verlassen das Fest,
wenn Ihr vor ihren Blicken flieht!
So kommt jetzt! So kommt jetzt!
(leise)
Wer ist der Kavalier, der sich so schnell maskierte, da
er mich kommen sah?

JULIA
Ich weiß es nicht!

TYBALT (mißtrauisch)
Es scheint, er weicht mir aus.

ROMEO
Gott sei mit Euch, Herr.
(geht ab)

TYBALT
Ha, ich erkenne seine Stimme! ... bei meinem Haß!
Er ist’s! Es ist Romeo!

JULIA (mit Schrecken)
Romeo!

TYBALT
Bei meiner Ehre,
ich werde den Verräter strafen, sein Tod ist gewiß!
(geht ab)

JULIA (mit Schrecken)
Das war Romeo!
(nachdenklich und mit starrem Blick)
Ach, ich sah zu früh, den ich zu spät nun kenne!
Und Haß ist Wiege nun fataler Liebe!
Denn das ist sicher! Wenn ich nicht sein darf die Seine,
wird der Sarg mein Brautbett sein!
(Sie entfernt sich langsam; die Gäste kommen zurück.
Tybalt tritt zusammen mit Paris auf. Romeo, Mercutio,
Benvolio und ihre maskierten Freunde kommen von der
anderen Seite.)


TYBALT (Romeo erblickend)
Das ist er! Das ist er!

PARIS (Tybalt fragend)
Was gibt’s denn?

TYBALT (zeigt ihm Romeo)
Romeo!!!

PARIS
Romeo!
(Tybalt will sich auf die Gruppe stürzen; Capulet gebietet
ihm energisch, Ruhe zu wahren.)

ROMEO (beiseite)
Mein Name bedeutet
ihm ein Übel schon!
Welch Schmerz!
Capulet ihr Vater, und ich liebe sie!

MERCUTIO (zu Romeo)
Seht nur! Mit wie wütendem Blick
Tybalt uns ansieht!
Ein Sturm liegt in der Luft!

TYBALT
Die Wut macht mich beben!

CAPULET (zu seinen Gästen)
Wie! Ihr geht schon? Verweilet noch!
Denn Eurer harrt die Tafel!

TYBALT
Besonnen nur! besonnen!
Für diese tödliche Beleidigung
wird Romeo, ich schwör’ es,
seine Strafe zu erleiden haben!

MERCUTIO
Man beobachtet uns, gebt acht!
Wir müssen Klugheit zeigen!
Wir wollen nicht töricht
unheilvollen Abgang machen.

CAPULET (zu seinen Gästen)
Lasset das Fest beginnen!
Laßt uns tanzen und trinken!
Ehemals, bei meiner Ehre,
tanzten wir ausgelassener!
Tanzten wir, usw.

CHOR
Lasset das Fest beginnen!
Laßt uns tanzen und trinken!
Vergnügen ist nur dem Augenblick gegeben!
Laßt die Nacht uns fröhlich enden!
Vergnügen, usw.
(Mercutio führt Romeo fort;
Benvolio und ihre Freunde folgen.)


ZWEITER AKT

Der Garten von Julia
(Ein Garten. – Zur Linken der Pavillon, in dem Julia
wohnt. – Im ersten Stock ein Zimmer mit Balkon. – Im
Hintergrund eine Mauer, gegen andere Gärten
abgrenzend.)

Nr. 6 Zwischenaktmusik und Chor

(Stephano, an die Mauer im Hintergrund gestützt, hilft
Romeo mittels einer Strickleiter über die Mauer. Dann
zieht er sich zurück, die Leiter mit sich nehmend)


ROMEO (allein)
Oh Nacht! umhülle mich mit
deinen dunklen Flügeln!

MERCUTIO (seine Stimme von draußen)
Romeo! Romeo!

ROMEO
Das ist Mercutios Stimme!
Eilfertig die Wunden bespötteln,
die selbst man nie empfangen!

CHOR (Mercutio, Benvolio und ihre Freunde)
Seltsam und merkwürdig,
Romeo hört uns nicht!
Der Liebe Freud und Sorgen
lieben das Dunkel der Nacht!
(Die Stimmen entfernen sich.)

Nr. 7 Cavatina

ROMEO
Die Liebe, die Liebe!
Ja, ihre Glut hat mich ganz verwandelt!
(Das Fenster Julias wird erleuchtet.)
Doch welch’ ein Licht scheint
plötzlich aus diesem Fenster?
Dort leuchtet ihre Schönheit in der Nacht!
Ah! erhebe dich, Sonne! Lass’ die Sterne verblassen
die am Arm des Himmels
glänzend leuchten!
Ah! erhebe dich! Ah! erhebe dich!
leuchtend heller Stern!
Sie träumt, sie löst
ein Band aus ihren Haaren,
durch die ihre Hände zärtlich gleiten.
Liebe! Liebe! trag’ ihr meine Stimme zu!
Sie spricht! Wie schön sie ist!
Ah! ich habe nichts vernommen!
Doch ihre Augen sprechen für sie,
und mein Herz hat längst geantwortet!
Ah, erhebe dich, Sonne, lass’ die Sterne verblassen, usw.
... Komm, erscheine!

Nr. 8 Szene und Chöre

(Das Fenster öffnet sich. Julia erscheint auf dem Balkon
und lehnt sich schwermütig an.)

JULIA
Weh mir! Ihn hassen! Blinder echter Haß!
Oh Romeo, warum trägst du diesen Namen?
Wirf ihn hinweg, da er uns trennt,
oder ich schwöre meinem eigenen Namen ab.

ROMEO (sich nähernd)
Ist es wahr! Hast du es gesagt?
Nimm fort den Zweifel
von meinem glücklichen Herzen!

JULIA
Wer lauscht mir
und entdeckt mein Geheimnis unterm Schutz der Nacht?

ROMEO
Ich wag’ es nicht, mich dir zu erkennen!

JULIA
Bist du nicht Romeo?

ROMEO
Nein! ich will es nicht länger sein,
wenn der verhaßte Name uns trennt!
Dich zu lieben, lass’ mich nur geboren sein
mit einem neuen Ich!

JULIA
Ah! – Du weißt, daß die Nacht verschleiert meine Wangen!
Du weißt es! Können deine Augen ihre Röte sehen,
sie zeigt klar dir an
die Reinheit meines Herzens!
Adieu, falsche Scheu ... Liebst du mich?
Ich warte,
was du sagst, sag’ keine leeren Schwüre!
Schwör’ nicht beim wandelbaren Mond,
daß wechselnd, so wie er, auch deine Liebe sei!
Geliebter Romeo! sag’ offen mir: ich liebe dich!
Und ich will dir glauben! Ich will mich
anvertrauen dir als meinem Herrn!
Schilt nicht mein Herz, dessen Geheimnis du kennst,
daß es leichtfertig sei und nicht zu
schweigen wußte ...
Nur der Nacht hab’ ich mein Geheimnis verraten,
und sie selbst ward Verräterin.

ROMEO (feurig)
Vor Gott, der mich hört,
nimm mein Wort!

JULIA
Hör! Es kommen Leute!... Still!...
Geh’ fort!

(Gregorio und die Diener tragen Fackeln in der Hand.)

GREGORIO, DIE DIENER
Niemand! Niemand!
Der Bursche verschwand! ...
Seinen Schlichen muß
der Teufel nachgeholfen haben!
Seinen Schlichen muß, usw.
Der Schurke, der Verräter
wartete auf seinen Herrn!
Das neidige Schicksal
hielt unseren Streich auf;
Und morgen vielleicht
verlacht er uns!
und morgen vielleicht, usw.
Der Schurke! Der Verräter! usw.
Niemand! Niemand!
Der Bursche verschwand! usw.

GERTRUDE (tritt auf die Szene)
Wovon sprecht Ihr nur?

GREGORIO
Von einem Pagen
der Montagues! ... Zusammen mit seinem Herrn
wagte er, unsere Schwelle zu betreten und
den edlen Capulet so zu beleidigen!

GERTRUDE
Ihr treibt wohl Scherz?

GREGORIO
Nein! bei meinem Leben!
Ein Montague hat es gewagt,
mit seinen Freunden
zu unserem Fest zu kommen!

GERTRUDE
Ein Montague? ...

GREGORIO
Ein Montague.

CHOR (tückisch)
Hat eure Schönheit den Verräter angelockt?

GERTRUDE
Mag er nur wiederkommen! Bei meinem Haupt,
ich werde ihn zähmen,
werd’ ihm das Wiederkommen
gründlich verleiden!

GREGORIO
Das will ich glauben!

CHOR (lachend)
Ihr seid dafür ja längst bekannt!
Gute Nacht, schönste Amme,
nehmt hin, Verehrte, unsern Gruß!
Der Himmel mag euch segnen
und die Montagues verdammen!
(Gregorio und die Diener entfernen sich.)

GERTRUDE
Segnen will ich jenen Stock, der strafend
diese Buben trifft!

JULIA
(erscheint auf der Schwelle des Pavillons)
Bist du es, Gertrude?

GERTRUDE
Ja, schönster Engel.
Es ist schon spät; wie, du schläfst noch nicht?

JULIA
Ich hab’ auf dich gewartet!

GERTRUDE
Laß uns heimgehen.

JULIA
Ärgere dich nicht.
(Sie wirft einen Blick um sich und kehrt dann in den
Pavillon zurück, gefolgt von Gertrude. Romeo erscheint wieder.)

Nr. 9 Duett

ROMEO
O himmlische Nacht! ich fleh’ dich an!
Laß meinem Herzen diesen himmlischen Traum!
Ich fürchte zu erwachen und glaub’ nicht,
daß es wahr ist!

JULIA
(wieder in der Tür erscheinend, mit halblauter Stimme)
Romeo!

ROMEO (dreht sich um)
Süße Freundin!

JULIA
(ihn aufhaltend, immer noch auf der Türschwelle)
Nur eine Frage ... und dann Adieu!
Ich sende morgen einen Boten!
(feierlich)
Bei deiner Seele,
wenn du mich zur Frau willst
sag mir den Tag, die Stunde, den Ort,
da unser Bund unter Gottes Augen gesegnet wird.
Dann, oh mein Herr, sei mein Gesetz!
Dir widme ich mein ganzes Leben,
entsage allem,
nur dir selber nicht!
Aber! ... Doch will deine Liebe
nichts als ein tolles Abenteuer ...
Ah! ich beschwöre dich, dann verlasse mich
in dieser trunkenen Stunde,
und überlasse mich dem Schmerz,
der meine Tage wird erfüllen!

ROMEO (vor Julia auf den Knien)
Ach! ich hab’ es dir gesagt, ich bete dich an!
Verscheuche meine Nacht! Sei Licht des Morgens mir,
wohin mein Herz, wohin die Augen wandern!
Sei Königin meines Lebens, erfülle meine
dürstende Seele mit allem
Licht des Himmels!

GERTRUDE (draußen)
Julia!

JULIA
Man ruft mich!

ROMEO
(sich erhebend und ihre Hand ergreifend)
Ah! Jetzt schon!

JULIA
Geh! Ich habe Angst,
daß man uns hier zusammen sieht!

GERTRUDE (gesprochen)
Julia!

JULIA
Ich komme ...

ROMEO
Hör mir zu!

JULIA
Leiser!

ROMEO
(Julia an sich ziehend, so daß sie auf der Bühne jetzt zu
erkennen ist.)
... Nein, nein, man ruft dich nicht!

JULIA
Leiser! leiser! Sprich leiser!

ROMEO
Ach! flieh nicht mehr!
Laß deine Hand in meiner!

JULIA
Ach! man kann uns hier überraschen!
Laß bitte meine Hand frei!
Leb wohl!

ROMEO
Leb wohl!

JULIA
Leb wohl!

ROMEO, JULIA
Leb wohl!
So süß ist Trennungsschmerz,
daß ich dir sagen wollt „leb wohl“, bis Morgen wär!
So süß ist Trennungsschmerz, usw.

JULIA
Doch nun bitte ich dich, geh!

ROMEO
Ah! Grausame!

JULIA
Warum rief ich dich zurück? Oh, Wahnsinn!
Denn kaum bist du mir nah,
schon vergißt mein Herz alles!
Ich wünschte, du seiest fort!

Nicht zu weit fort,
wie ein gefangener Vogel,
den die Hand eines Kindes
an einem Seidenfaden hält,
und kaum will er zum Himmel aufsteigen,
da zieht das Kind ihn voll Freude zu sich;
eifersüchtig geliebt, darf er nicht frei sein.

ROMEO
Ach! Gehe noch nicht!

JULIA
Wehe! Es muß sein!

ROMEO
Nein! Gehe noch nicht!

JULIA
Wehe! Es muß sein! Leb wohl!

ROMEO
Leb wohl!

ROMEO, JULIA
Leb wohl! Süß ist der Trennungsschmerz,
daß ich dir sagen wollt’ „leb wohl“, bis Morgen wär’.

JULIA
Leb wohl tausend Mal!
(Sie befreit sich aus seinen Armen
und läuft zurück ins Haus.)


ROMEO (allein)
Geh! Ruhe in Frieden! Träume!
Daß das Lächeln eines Kindes sich
süß auf deinen Mund lege!
Flüsternd noch einmal! Ich liebe dich!
Deinem Ohr bringe der Nachtwind diesen Kuß!
(Entfernt sich.)

DRITTER AKT

Erstes Bild

Die Zelle von Bruder Lorenzo

Nr. 10 Zwischenaktmusik und Szene

ROMEO
Mein Vater, Gott zum Gruße!

BRUDER LORENZO
Wie! Was! Kaum ist es Tag,
und du bist schon auf!
Welche Liebesplage
führt heute dich zu mir?

ROMEO
Ihr habt es erraten, mein Vater! Es ist die Liebe.

BRUDER LORENZO
Die Liebe! Wie! Was! Die unwürdige Rosalinde?

ROMEO
Welchen Namen nennt ihr da?
Ich kenn’ ihn nicht!
Gott ließ mich das Licht des Himmels sehen
erinnert man sich dann noch irdischer Schatten?
Liebt man Rosalinde, wenn man Julia gesehen hat?

BRUDER LORENZO
Was? Julia Capulet?
(Julia erscheint, gefolgt von Gertrude.)

ROMEO
Da ist sie!

JULIA
(sich in seine Arme werfend)
Romeo!

ROMEO
Meine Seele rief nach dir!
Ich sehe dich! Mein Mund verstummt!

JULIA (zu Bruder Lorenzo)
Mein Vater, seht meinen Gatten hier!
Ihr kennt das Herz, das ich ihm gebe!

Seiner Liebe vertraue ich mich an
vor dem Himmel, segne uns vor Gott!

BRUDER LORENZO
Ja! Mag mir auch blinder Haß drohen,
ich gebe euch meinen Segen.
Mag eure junge Liebe löschen
den ewigen Haß eurer beiden Häuser!

ROMEO (zu Gertrude)
Geh und halte Wache!
(Gertrude geht ab.)

BRUDER LORENZO
Zeuge eurer Eide,
oh wach in Glück und Leide,
der ewige Gott!
Kniet nieder!
(sehr ernst)
Kniet nieder!

Nr. 11 Trio und Quartett

BRUDER LORENZO
Gott schuf nach seinem Bild den Mann,
aus dessen Leib und Blut das Weib,
und verband sie beide
durch die Ehe
und weihte
ihren unlösbaren Bund!
Senke gütig deinen Blick
auf die elende Kreatur,
die sich vor dir neigt!

JULIA, ROMEO
Herr, wir versprechen, deinem Wort zu gehorchen.

BRUDER LORENZO
Hör mein glühend Flehen:
Daß deiner Magd möge beschieden sein
Liebe nur und Frieden!
Daß Tugend ihr Reichtum sei,
daß sie, entgegen ihrer Schwäche,
ihr Herz nur ihren Pflichten weihen möge!

JULIA, ROMEO
Herr, sei mein Licht, sei meine Hoffnung!

BRUDER LORENZO
Laß sie in frohem Alter sehen
die Kinder gehen deine Wege
und ihre Kindeskinder auch!

JULIA, ROMEO
Herr! schütze uns vor der Versuchung!

BRUDER LORENZO
Dies reine glückliche Paar,
verbunden in ewigem Leben,
möge eingehen ins ewige Leben!

JULIA, ROMEO
Herr! sei unserer Liebe immer gnädig!

BRUDER LORENZO (zu Romeo)
Romeo! du nimmst Julia zur Frau?

ROMEO
Ja, mein Vater!

BRUDER LORENZO (zu Julia)
Du nimmst Romeo zum Mann?

JULIA
Ja, mein Vater!
(Sie wechseln ihre Ringe.)

BRUDER LORENZO
(indem er Julias Hand in die Romeos legt)
Vor Gott, der eure Seelen eint,
verbind ich euch! Erhebt euch!
(Sie stehen auf. Gertrude kommt zurück.)

JULIA, GERTRUDE, ROMEO, BRUDER LORENZO
Oh reines Glück! oh namenlose Freude!
Selbst der Himmel empfing unseren/ihren Liebesschwur!
Gütiger, mildtätiger Gott!
nimm den Dank zweier glücklicher Herzen! usw.
(Romeo und Julia trennen sich. – Julia geht mit
Gertrude, Romeo mit Bruder Lorenzo.)


Zweites Bild

Eine Straße. – Zur Linken das Haus der Capulets

Nr. 12 Lied

STEPHANO (allein)
Seit gestern such ich meinen Herrn vergebens!
(den Balkon des Hauses der Capulets betrachtend)
Ist er etwa noch in eurem Haus, meine Herren Capulet
(arrogant)
Ei, laß doch sehen, ob eurer Knechte Schar
beim Klang meiner Stimme sich herauswagt!

(Er beginnt, die Gitarre zu zupfen.)
Was machst du, weiße Taube,
bei den Geiern im Horst?
Eines Tages wirst du die Flügel erheben
und der Liebe folgen!
Die Geier aber wollen den Kampf,
sie wetzen die Krallen und sind
zum Kampfe stets bereit!
Meide diese wilden Vögel,
du feines Täubchen, das Freude
nur an Küssen hat!
Hütet die Schöne nur!
Lehren wird es die Zeit!
Eure kleine Taube,
wird entflattern weit! usw.
In der Nacht, von der Liebe angezogen,
weit vom grünen Hain,
in der Nähe dieses wilden Nestes
hat, glaube ich, eine Taube geseufzt,
doch die Geier wachen,
und ihre feindlichen Weisen
schallen laut.
Und das Paar, selig selbstvergessen,
erzählen ihre Seligkeit
den Sternen der Nacht!
Hütet die Schöne nur!
Lehren wird es die Zeit! usw.

Nr. 13 Finale

STEPHANO
Ah! Ah! da sind sie schon!

GREGORIO
Zum Teufel! Was für Singsang vor
unserem Hause?

STEPHANO (beiseite, lachend)
Das Lied mißfällt ihnen gründlich!

GREGORIO (zu den anderen Dienern)
Ist es nicht der, den gestern wir
wie einen Hasen jagten?

DIENER
Er ist’s! Diese Unverschämtheit ist stark!

STEPHANO
Hütet die Schöne nur ... usw.

GREGORIO
Ist es gar zum Hohn, mein Freund,
daß du uns diese Serenade singst?

STEPHANO
Ich liebe die Musik!

GREGORIO
Das dacht ich mir;
doch wird man auf dem Rücken dir ob dieses Streichs
deine Gitarre jetzt zerschlagen!

STEPHANO
Dann seht mich dieses Schwert als Laute tragen,
es weiß noch manches weitere Lied.

GREGORIO
Bei Gott! Auf solche Lieder
kann man dir Antwort geben!

STEPHANO (indem er den Degen zieht)
So holt euch die Lektion!

GREGORIO (ebenfalls ziehend)
Leg aus!

DIENER (lachend)
Wir wollen ihr Lied jetzt hören!
Welche Wut!
Potztausend!
Mut entbrannt,
freies Spiel!
Seht nur,
wie dies Kind
gegen einen Mann
sich verteidigt!
Feine Klinge,
bei meiner Seele,
er schlägt sich
wie ein Soldat!
(Mercutio und Benvolio erscheinen.)

MERCUTIO (empört)
Mutig einem Kinde drohen!
Zum Teufel, es ist eine Schande!
das paßt zu den Capulets!
(zieht sein Schwert und wirft sich zwischen die Streitenden)
Wie der Herr, so der Knecht!
(Tybalt erscheint, gefolgt von Paris und einigen
Freunden.)

TYBALT (frech)
Ihr seid eilfertig mit dem Wort,
mein Herr!

MERCUTIO
Mein Schwert ist schneller noch!

TYBALT
Das will bewiesen sein!

MERCUTIO
So versucht es doch!
(In dem Moment, da Mercutio und Tybalt die Schwerter
kreuzen wollen, erscheint Romeo und stellt sich zwischen sie.)

ROMEO
Haltet ein!

MERCUTIO
Romeo!

TYBALT (rachsüchtig)
Den führt sein Dämon her!
(zu Mercutio mit ironischer Höflichkeit)
Laßt zunächst mich jenen begrüßen!
(zu Romeo, hochmütig)
Wohlan! Knabe Montague!
Nimm die Klinge!
Du, der sich zum Hohn in unser Haus stahl,
du sollst die Strafe erhalten
für diese böse Schmach!
Dessen diebischer Mund
verbotener Weise wagte,
mit Julia zu flüstern.

(mit Verachtung)
Hör nur mein Wort, das mir der Haß einsagt!
Nichts bist du als ein Feigling!
(Romeo greift erregt zum Schwert, nach kurzem Zögern
steckt er es zurück in die Scheide.)

ROMEO (mit Haltung und Würde)
Wohlan! ... Du kennst mich schlecht,
Tybalt, und deine Beleidigung ist leer!
Ich habe allen Grund, den alten Haß zu vergessen.
Handle wie ich und laß ihn ruhen!
Ich bin kein Feigling! Leb wohl!
(Er will sich entfernen.)

TYBALT
Glaubst du wohl
Verzeihung für deine Beleidigung zu erhalten, Verräter?

ROMEO
Ich habe niemals dich beleidigt, Tybalt;
die Zeit des Hasses ist vorüber!

MERCUTIO
Du läßt dich einen Feigling schelten?
Romeo! hab’ richtig ich gehört?
Wohlan! wenn dein Arm der Kraft ermangelt
dann löse ich deine Ehre ein!

ROMEO
Mercutio! – laß dich beschwören!

MERCUTIO
Nein! ich räche die Beleidigung!
Erbärmlicher Tybalt! leg aus, verteidige dich!

TYBALT
Ich bin bereit!

ROMEO
So höre doch!

MERCUTIO
Nein! Lasse mich!

CHOR (Montagues)
Gut! Bei meiner Treu!
(Capulets)
Ich setze auf ihn!

STEPHANO, BENVOLIO
Capulets! Capulets! Schmachbefleckte!
Fließen mag euer Blut,
nicht vor der Hölle schreckte zurück
ihr Haß und ihre Wut!

ROMEO
Blinder Haß, den ein Dämon weckte!
Soll immerdar denn deine Glut
die Welt erfüllen
und ein Schreckensschauspiel bieten?

TYBALT, PARIS, GREGORIO
Montagues! Montagues! Schmachbefleckte!
Fließen mag euer Blut,
nicht vor der Hölle schreckte zurück
mein/sein Haß und meine/seine Wut!

CHOR
Capulets! Capulets! Schmachbefleckte!
Montagues! Montagues! Schmachbefleckte!
Fließen mag euer Blut,
nicht vor der Hölle schreckte zurück
ihr Haß und ihre Wut!
(Tybalt und Mercutio kämpfen.)

MERCUTIO
Ich bin getroffen! ...

ROMEO
Getroffen! ...

MERCUTIO
Zur Hölle
mit beiden Häusern!
Warum nur kamst du zwischen uns?

ROMEO
Oh unseliger Ausgang!
(zu seinen Freunden)
Helft ihm!

MERCUTIO (taumelnd)
Stützt mich!
(Man schleppt Mercutio fort, der erliegt. Romeo schaut
ihm einige Augenblicke nach, steigt die Szene hinunter
und gibt sich ganz seiner Wut hin und schreit auf.)

ROMEO
Nun zum Himmel, infame Klugheit!
Du aber, lodernde Wut,
sei meines Herzens einziges Gesetz!
(sein Schwert ziehend)
Tybalt! – Niemand ist hier ein Feigling außer dir!
(Sie kreuzen die Schwerter.)

ROMEO
(einen Ausfall gegen Tybalt machend)
Da nimm!
(Tybalt ist getroffen und fällt; Capulet erscheint und
hebt ihn in seine Arme. Man kämpft nicht mehr.)

CAPULET
Großer Gott! Tybalt!

BENVOLIO (zu Romeo)
Seine Wunde ist tödlich!
Fliehe auf der Stelle jetzt!

ROMEO (zu sich selbst)
Was habe ich getan? Ich, fliehen! Von ihr verflucht!

BENVOLIO
Flieh, sonst bist du des Todes!

ROMEO (verzweifelt)
Wenn sie nur käme, ich rufe sie!

TYBALT
(zu Capulet mit ersterbender Stimme)
Ein Wort noch! Bei eurer Seele ... schwört mir!

CAPULET (besinnlich)
So mag es geschehen, nimm mein Wort!
(Eine Menge Bürger umgibt die Szene.)

CHOR
Was ist los?
Was ist los? Das ist Tybalt! Er stirbt!

CAPULET (zu Tybalt)
Komm endlich zu dir!

STEPHANO, BENVOLIO, ROMEO, PARIS, GREGORIO, CHOR
Oh, Tag der Trauer! Oh, Tag der Tränen!
Eine blinde Wut
läßt unsere Waffen bluten!
Und das Unglück schwebt über uns!
Oh, Tag der Trauer, usw.
(Fanfaren ertönen.)


CHOR
Der Doge! Der Doge!
(Der Doge, gefolgt von seinen Edelleuten, erscheint.
Pagen tragen Fackeln. Capulet dreht sich zum Dogen.)

CAPULET
Gerechtigkeit!

ALLE CAPULETS
Gerechtigkeit!

CAPULET (auf den toten Tybalt zeigend)
Das ist mein Neffe Tybalt! erschlagen von Romeo!

ROMEO
Er hat zuerst Mercutio geschlagen!
Ich habe meinen Freund gerächt, ich bin
bereit zu sühnen!

STEPHANO, ROMEO, BENVOLIO, PARIS, GREGORIO,CAPULET, DIE MONTAGUES, DIE CAPULETS
Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!

DER DOGE
Wie! Immer aufs neue Blut!
Kann denn nichts dem Haß,
der in euerem Herzen wohnt, ein Ende setzen!
Kann nichts die Schwerter euch aus der
Hand nehmen, daß gar ich selbst
zu euren Streitigkeiten eilen muß!
(zu Romeo)
Nach unserem Gesetz verdient deine Tat die Todesstrafe.
Doch hast du nicht angegriffen ... ich verbanne dich!

ROMEO
O Himmel!

DER DOGE (zu beiden Parteien)
Wenn ihr weiter unter wortreichem Vorwand
den Streit fortsetzt und Unruhe stiftet in der Stadt,

wird strenge Buße Folge sein. Drum schwöret feierlich
Gehorsam den Gesetzen des Prinzen und des Himmels!

ROMEO
Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs,
mein Herz bricht voller Schmerz!
Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet,
das ist der Gipfel dieses Unglückstages!
Ich sehe untergehen in Blut und Tränen
alle Hoffnungen und Wünsche meines Herzens!

DER DOGE
Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs!
Ich sehe mein und ihr Blut in Wallung!
Zu schwere Strafe, die ihre Waffen abstumpft,
du kommst zu spät an diesem Tag des Unglücks!
Überfließend in Blut und Tränen
leidet die Stadt, auch in meinem Herz!

ROMEO
Tag des Schreckens, des Aufruhrs,
mein Herz bricht voller Schmerz! usw.

CAPULET
Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs!
Mein Herz bricht voller Schmerz!
Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet,
das ist der Gipfel dieses Unglückstages!
Ich sehe untergehen in Blut und Tränen
alle Hoffnungen meines Herzens!

STEPHANO, DIE MONTAGUES
Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs!
Mein Herz bricht voller Schmerz!
Ungerechte Strafe, die ihre Waffen abstumpft,
du kommst zu spät an diesem Tag des Unglücks
Ich sehe untergehen in Blut und Tränen
mit dem Gesetz, das Vaterland und Ehre!

BENVOLIO, PARIS, DIE CAPULETS
Ach! Tag der Trauer, des Schreckens, des Aufruhrs!
Mein Herz bricht voller Schmerz!
Ungerechte Strafe, die uns zu spät entwaffnet,
das ist der Gipfel dieses Unglückstages!
Nein! nein! Unsere Herzen in Blut und Tränen!
Wir wollen nicht die Ehrenpflicht versäumen!

DER DOGE
Bis zum Abend verläßt du die Stadt!

ROMEO
Oh, Verzweiflung! In die Verbannung!
Ich sterbe, aber ich will sie wiedersehen!

CAPULET, CHOR
Den Frieden? Nein! nein! nein! nein! Nimmermehr!

VIERTER AKT

Erstes Bild

Das Zimmer der Julia
(Es ist Nacht. Es brennt eine Fackel.)

Nr. 14 Duett

(Julia sitzt, Romeo befindet sich ihr zu Füßen.)

JULIA
Ja! ich habe dir verziehen, Tybalt wollte deinen Tod;
wenn er nicht gefallen wär, wäre es dein Tod gewesen!
Ich empfinde keinen Schmerz, hege keine Reue!
Er haßte dich ... und ich liebe dich!

ROMEO
Ach! sag das süße Wort noch einmal!

JULIA
Ich liebe dich, Romeo! Ich liebe dich, meinen Gatten!

JULIA, ROMEO
Brautnacht!
Süße Nacht der Liebe!
Das Schicksal
hat unaufhörlich uns verbunden.
Oh Lust zu leben,
oh übermächtiger Zauber!
Dein süßer Blick macht mich erbeben,
deine Stimme raubt die Sinne mir!
Deine glühenden Küsse schließen
mir einen ganzen Himmel ein.
Die Seele habe ich dir gegeben;
dir, immer nur dir.
Oh Lust zu leben,
oh übermächtiger Zauber, usw .
Brautnacht! usw.
(Der erste Tagesschimmer erleuchtet die Fensterscheiben.
Man hört die Stimme der Lerche erklingen.)

JULIA
Romeo! was ist dir?

ROMEO (sich erhebend)
Hör nur, Julia!
die Lerche hat uns den Tag angekündigt!

JULIA
Nein! nein, er ist noch fern,
das ist nicht die Lerche,
deren Sang dein unruhiges Ohr erreichte,
es war die Nachtigall, die verschwiegene
Zeugin der Liebe!

ROMEO
Ach! es ist die Lerche, die Künderin des Morgens!
Die Wolken rahmen schon das Licht im Osten;
die Lichter der Nacht sind ausgebrannt, der
lichte Tag mit frischem Wehn erhebt lächelnd sich!

JULIA
Nein! nein, das ist nicht der Tag!
Dieses Licht
ist Widerschein nur der schönen Sterne der Nacht.
Bleib! Bleib!

ROMEO
Ah! Mag Zögern auch den Tod bedeuten! Ich bleibe hier!

JULIA
Du sprichst wahr: es ist der Tag! Flieh schnell von hier!
Du mußt deine Julia jetzt verlassen!

ROMEO
Nein! nein, das ist nicht der Tag!
Das ist nicht die Lerche.
Die Nachtigall ist’s, verschwiegene Zeugin der Liebe!

JULIA
Ach! es ist die Lerche, die Botin des Morgens!
Ach geh! mein Leben!

ROMEO
Ein Kuß nur, und ich will gehen!

JULIA
Grausames Gesetz! Grausames Gesetz!

ROMEO
Ach! halten laß noch einmal dich in meinen Armen!
Halten laß! halten laß!
Und sind wir einst vereint, wird süße Lust
sein die Erinnerung an vergangene Qualen.

JULIA
Du mußt nun gehn!
verlassen die Arme,
die sehnend dich umfangen,
und entbehren diese glühende Zärtlichkeit.

JULIA
Du mußt nun gehn!
Verlassen die Arme
die sehnend dich umfangen
und dich dieser glühenden
Zärtlichkeit entreißen!
Ach! Dieses Schicksal,
das von dir mich trennt,
mehr als den Tod
möcht ich es grausam nennen! usw.

ROMEO
Ich muß nun gehn!
verlaß die Arme
die sehnend mich umfangen
und mich dieser glühenden
Zärtlichkeit entreißen!
Ach! Dieses Schicksal,
das von dir mich trennt,
mehr als den Tod
möcht ich es grausam nennen! usw.

ROMEO
Leb wohl, meine Julia, leb wohl!

JULIA
Leb wohl!

ROMEO, JULIA
Immer dein!

JULIA
Leb wohl, mein Leben! leb wohl, mein Leben!
Engel des Himmels, euch sei er anvertraut!

Nr. 15 Quartett

GERTRUDE
(in großer Aufregung erscheinend)
Julia!
(sich beruhigend)
Ah! dem Himmel sei Dank, euer Gatte
ist fort! Hier kommt euer Vater!

JULIA
Beim Himmel! Ahnt er etwas?

GERTRUDE
Nichts! nichts wie ich hoffe!
Bruder Lorenzo begleitet ihn!

JULIA
Gott steh uns bei!
(Capulet tritt auf, gefolgt von Bruder Lorenzo.)

CAPULET
Wie! meine Tochter! Kaum ist die Nacht vorbei,
und du bist schon wach, bist schon aufgestanden!
Ach! unser Leid, ich will es glauben, ist uns beiden
schwer und hielt uns beide gleich dem Schlummer fern!
Doch soll dem argen Lärm noch heute eine
Hochzeitshymne folgen!
Getreu dem letzten Wunsche, den Tybalt sprach,
erhalt den Gatten, den er dir zugedacht hat;
lächle nur und wenn es unter Tränen ist!

JULIA
Der Gatte ... wer soll es sein?

CAPULET
Der Höchste unter uns,
Graf Paris!

JULIA (beiseite)
Oh Gott!

BRUDER LORENZO
(leise zu Julia)
Schweig still!

GERTRUDE, BRUDER LORENZO
Beruhigt euch doch!

CAPULET
Der Altar ist bereit,
Paris hat mein Wort.
Mögt ihr nun vereinigt sein
ohne weiteren Aufschub!
Tybalts Schatten
sei anwesend bei der Feier
und endlich versöhnt und getröstet.
Die Wünsche eines Toten sind,
wie die des Gottes,
ein heiliges, höchstes Gesetz,
dem wir Tribut zu zollen haben!

JULIA
Fürchte nichts, Romeo, mein Herz ist ohne Fehl.

GERTRUDE
Laßt in ihren Gräbern
die Toten ruhn in Frieden!

BRUDER LORENZO
Sie bebt,
und mein Herz ist erfüllt von Reue.

CAPULET
Bruder Lorenzo wird dir deine Pflicht auftragen.
Unsere Freunde kommen gleich. Ich gehe, sie zu empfangen.
(Er geht ab, gefolgt von Gertrude.)

Nr. 16 Szene

JULIA (zu Bruder Lorenzo)
Mein Vater! Alles drückt mich nieder! Alles ist verloren!
Ich habe, um euch zu gehorchen,
meine Verzweiflung und Not verborgen.
Nur ihr könnt mich jetzt retten,
nur ihr könnt mich vor meinem schweren Unglück bewahren!
Sagt, mein Vater,
wie, oder ich will sterben!

BRUDER LORENZO
So ist der Tod für dich kein Schrecknis?

JULIA
Nein! nein! Lieber den Tod als diese meineidige Ehe!

BRUDER LORENZO
Trinke diesen Saft hier;
und durch Herz und Glieder
werden dir kalte Schauer ziehen,
scheintot wirst du sein.
Das Blut wird in deinen Adern stocken,
und bald wird dir das Rot
aus deinen Wangen fliehen;
deine Augen werden starr wie im Tode sein!
Umsonst werden die Rufe nach Hilfe erschallen:
„Sie ist tot“, wird man unter Tränen sagen.
Und die Engel selbst erwidern:
„sie entschlief.“
Einen Tag später werden dort
dein Geist und dein Körper gleich einer Flamme
schließlich – aus dem schweren Traum erwachen.
Geschützt durch das Dunkel der Nacht,
werden Romeo und ich zu dir kommen,
und du kannst in die Arme dessen fliehen, den du liebst.
Du zögerst noch?

JULIA (indem sie die Flasche ergreift)
Nein! nein! Eurer Hand vertrau ich mein Leben an.

BRUDER LORENZO
Bis morgen dann!

JULIA
Bis morgen!

Nr. 17 Szene und Arie

JULIA
Gott! Welche Kälte durchrinnt meine Adern.
Wenn dieser Trank nicht wirkte!
Vergebliche Ängste!
Ich werde nicht gegen meinen Willen handeln!
Nein! Nein! Dies Gift sei Hüter meiner Treue!
Komm! Komm!
Liebe, stärke meinen Mut
und vertreibe die Furcht aus meinem Herzen!
Zaudern hieße dich beleidigen,
Beben ist fehlende Treue!
Trinke, trinke diesen Trank!
Ah! Trinke diesen Trank;

o Romeo, ich trinke dir zu!
Doch wenn ich morgen in jener düsteren Gruft
erwache, bevor er kommt?
Großer Gott!
Dieser schreckliche Gedanke läßt mein Blut
erstarren!
Was wird aus mir in jener Finsternis,
an jenem Ort des Todes und der Seufzer,
den die Jahrhunderte mit Knochen angefüllt haben?
Wo Tybalt, noch blutverschmiert von seiner Wunde,
mir nahe ist, in der finsteren Nacht schläft;
Gott! Meine Hand
berührt die seine!
(bebend, als sähe sie Tybalts Geist)
Wer ist dieser Geist, der dem Tode entsprang?
Es ist Tybalt! Er ruft mich! Er will
meinen Gatten von mir reißen
und erhebt seinen furchtbaren Degen!
Nein! Geister! Vergeht!
Verschwinde, gräßlicher Traum!
Möge die Dämmerung des Glückes aufsteigen
über dem Schatten vergangener Qualen!
Komm! Liebe, belebe meinen Mut
und vertreibe die Angst aus meinem Herzen!
Zaudern hieße dich zu beleidigen!
Beben wäre mangelnde Treue!
Trinke, trinke diesen Trank,
ah! trinke diesen Trank.
O Romeo, ich trinke dir zu.

Ballett

Zweites Bild

Nr. 18 Hochzeitszug

Eine Galerie im Palast. Im Hintergrund die Flügel der
Kapelle.

(Ein Orgelpräludium ertönt. Die Türen der Kapelle öffnen
sich, eine Schar von Kirchendienern und Kindern
erscheint.)


Nr. 18a Epithalamium

JULIA
Unerbittliches Gesetz! Unerbittliches Gesetz!
Ah! Ich bebe! Ich Unselige!
Unerbittliches Gesetz! 0 tödliches Entsetzen!
Seine Zärtlichkeit ist mir geraubt!
Unerbittliches Gesetz! Tödliches Entsetzen!
Nur er ist mein Leben, sein meine Treue,
das harte Schicksal hat ihn von mir getrennt!

GERTRUDE
Unerbittliches Gesetz! Unerbittliches Gesetz!
O tödliches Entsetzen! 0 unselige Julia!
O unerbittliches Gesetz, tödliches Entsetzen!
Die Hoffnung ist dir genommen!
Schicke dich in die Härten des Lebens!
Dem erbarmungslosen Schicksal
kann man nicht entrinnen!

PARIS, CAPULET, MANUELA, PEPITA, ANGELO, CHOR
O Julia, sei glücklich!
Sieh, mein/sein liebendes Herz
ergibt sich deiner Macht! 0 Julia, sei glücklich!
Sieh, mein/sein liebendes Herz
ergibt sich deiner Macht!
Wenn der Himmel selbst dich führt,
lächle dem Leben, das sich dir bietet!
Mein/sein Herz weiht sich dir auf ewig!

BRUDER LORENZO
O Julia! Dein Herz kann mir vertrauen!
O Julia, sei glücklich!
Dein liebendes Herz darf mir vertrauen!
Wenn der Himmel selbst dich leitet,
ah, lächle dem Leben, das sich dir öffnet!
Dein Herz kann mir vertrauen!
Der Himmel schützt dich und wacht über dich!

CHOR
Julia, sei glücklich!
Sein liebendes Herz weiht sich dir!
Sein Herz weiht sich auf immer dir!
Chor und Tanz

CHOR
Erfüllt die Luft mit Jubelgesängen,
Hochzeitsliedern!
Verbannt die besorgten Blicke
an diesem schönen Tag!
Erfüllt die Luft, usw.
Wir lesen in euren Augen euer Glück.
Erfüllt die Luft mit Jubelgesängen,
laßt sie zum Himmel aufsteigen!
Erfüllt die Luft, usw.

Nr. 19 Finale

CAPULET
Meine Tochter, höre das Gelöbnis
des Gatten, der dich liebt!
Der Himmel bindet euch jetzt durch ewigen Bund!
Er sei mit euch im Augenblick dieser
gesegneten Heirat!
Das Glück komme zu euch am Fuße dieses Altars!
(Paris geht vor und will den Ring auf Julias Finger
schieben.)


JULIA
(indem sie ihre Hand zurückzieht und mit leiser Stimme,
wie im Traume, sagt)
Der Haß ist die Wiege dieser unglückseligen Hochzeit!
Der Sarg mag jetzt mein Brautbett sein!
(Sie greift zum Kopf, nimmt den Brautschleier ab, ihre
Haare lösen sich und fallen auf ihre Schultern.)

CAPULET
Julia! Besinne dich!

JULIA
Ah, stützt mich! Ich wanke!
(Man umringt und stützt sie.)
Welche Nacht umgibt mich?
Welche Stimme ruft nach mir?
Ist es der Tod? Ich habe Angst! Mein Vater! Lebt wohl!
(Sie fällt um in die Arme derer, die sie umgeben.)

CAPULET (verwirrt)
Julia! Meine Tochter! Ach!
(niedergeschmettert)
Tot!

GERTRUDE, PARIS, CHOR
Tot!

CAPULET (verzweifelt)
Tot!

ALLE
Gerechter Gott!

FÜNFTER AKT

Erstes Bild

Eine unterirdische Krypta

Nr. 20 Zwischenaktmusik

Nr. 20a Szene

BRUDER LORENZO
Nun? Hat Romeo meinen Brief erhalten?

BRUDER JOHANNES
Sein Page, von den Capulets angegriffen,
wurde verwundet und weggeschleppt
in das Haus ihres Herrn.
So konnte er die Nachricht nicht überbringen.
Hier ist der Brief.

BRUDER LORENZO
O grausamer Zufall!
Ein anderer Bote muß ihn diese Nacht überbringen!
Geh! Jeder Augenblick Verzögerung
bringt uns höchste Gefahr.

Zweites Bild

Das Grab

Nr. 21 Julias Schlaf

Nr. 22 Szene und Duett

(Ein Zwischenspiel. Nach einiger Zeit hört man, wie die
Tür mit einem Eisen gewaltsam geöffnet wird. Die Tür
kreischt laut, als sie sich öffnet. Romeo erscheint.)


ROMEO
Hier ist es! ...
(entsetzt)
Sei mir gegrüßt, du dunkles, schauervolles Grab!
Ein Grab! Nein! nein! Eine Stätte
ist es, die schöner
als der Sitz der Götter!
(Er sieht Julia und wirft sich auf den Sarg.)
Ach! da ist sie, dort!
Komm, bleiches Licht!
Laß mich erschauen sie.
(die Fackel ergreifend)

O mein geliebtes Weib!
Der Tod hat zwar den Odem dir genommen,
doch nicht die Schönheit, dir geraubt!
Nein! nein! diese Schönheit die ich anbete
beherrscht noch immer dein Gesicht, das
starr und stumm, und lächelt in die Ewigkeit!
(stellt die Lampe auf das Grab)
Was zeigt der Tod sie mir so schön
und so verklärt,
ist es, um mich schnell auch dem Tode preiszugeben?
Ja! heißer hab’ ich
nie sein Glück begehrt!
Und diese Beute soll ihm heute nicht entfliehen.
(blickt um sich)
Ja! ich sehe dich ohne Furcht an,
das Grab, wo ich jetzt nah ihr ruhen werde!
(sich über Julia beugend)
Arme, umfangt sie noch ein letztes Mal!
Lippen, gebt ihr noch den letzten Kuß!
(Er umarmt Julia, zieht dann aus seinem Gewand eine
kleine Flasche aus Metall und wendet sich zu Julia.)

Ich trinke es für dich, meine Julia.
(trinkt die Flasche mit einem Zug aus und stürzt dann nieder)

JULIA (langsam erwachend)
Wo bin ich?

ROMEO (seine Augen auf Julia richtend)
Gott!
Ist es ein Traum?
Sie hat gesprochen!
(Julias Hand ergreifend)
Meine Finger fühlten,
daß ihr Puls schlägt?
(Julia betrachtet Romeo verwirrt.)
Sie schaut mich an und sie erhebt sich!

JULIA (seufzend)
Romeo!

ROMEO
Großer, allmächtiger Gott!
Sie lebt! Sie lebt! Tatsächlich, Julia lebt!

JULIA
(die langsam ihrer Sinne wieder Herr wird)
Gott! was ist das für eine Stimme, deren
Zauber mich gefangen nimmt?

ROMEO
Ich bin es! Dein Gatte ist’s;
zitternd vor Glück umfang ich deine Knie!
Der dir das Licht des Lebens bringt zurück, das Licht
der Liebe und des Himmels!

JULIA
(indem sie sich in die Arme Romeos wirft)
Ah! du bist es!

ROMEO
Komm! komm! laß uns fliehen!

JULIA
Oh, welch Glück!

JULIA, ROMEO
Komm! laß uns in die Welt ziehen!
Komm! laß uns glücklich sein!
Laß uns fliehen!
Komm!
Gott der Güte! Gott der Liebe!
Nimm den Dank zweier glücklicher Herzen!

ROMEO (wankend)
Ach! die Väter haben alle ein Herz aus Stein!

JULIA
Was sagst du! Romeo?

ROMEO
Tränen und Bitten,
nichts, nichts kann sie erweichen!
Vor den Pforten des Himmels!
Julia, vor den Pforten des Himmels! und sterben!

JULIA
Sterben! Du redest im Fieber!
Welch finstere Bilder umgeben dich?
Mein Geliebter! gewinne deine Fassung wieder!

ROMEO
Ach!
Ich wähnte dich tot! So nahm ich dieses Gift!

JULIA
Dieses Gift! Großer Gott!

ROMEO
(indem er Julia in seine Arme nimmt)
Tröste dich, meine Seele,
der Traum war zu schön!
Der Liebe heilige Flamme aber
wird auch nach dem Grabe noch bestehen!
Sie zersprengt des Sarges Schale
und entschwebt, gottgeweiht,
auf des Lichtes goldenem Strahle
hin zur Unendlichkeit.

JULIA (verwirrt)
Oh Schmerz! oh Qual!

ROMEO (mit immer schwächerer Stimme)
Höre, meine Julia!
Schon hat die Lerche uns den Tag verkündet!
Nein! nein, es ist nicht der Tag, es ist nicht die Lerche!
Es ist die Nachtigall, verschwiegene Zeugin der Liebe!
(Er gleitet aus Julias Armen und fällt auf die Stufen des
Grabes.)

JULIA (das Fläschchen aufhebend)
Ach! Grausamer Gatte! Von diesem furchtbaren Gift
hast du mir meinen Teil nicht gelassen!
(Sie greift mit der Hand zum Herzen, entdeckt den
Dolch, den sie in ihren Kleidern verborgen hatte, und
faßt ihn mit eiliger Bewegung)
Gesegneter Dolch!
Du bleibst mir.
(Ersticht sich.)

ROMEO (sich halb erhebend)
Gott! was hast du getan?

JULIA (in seinen Armen)
Der Augenblick ist Glück!
(Sie läßt den Dolch fallen.)
Oh höchste, unendliche Freude,
mit dir zu sterben. Komm! einen Kuß!
Ich liebe dich!

JULIA, ROMEO
(Beide erheben sich noch einmal in einer letzten Anstrengung.)
Herr, Herr, verzeihe uns!

(Sie sterben.)
 

 

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