Manon Lescaut” by Giacomo Puccini libretto (German)

Personen

Manon Lescaut (Sopran)
Lescaut, ihr Bruder (Bariton)
Renato Des Grieux, Student (Tenor)
Geronte de Ravoir, Steuerpächter (Bass)
Edmondo, Student (Tenor)
Wirt (Bass)
Musikant (Mezzosopran)
Ballettmeister (Tenor)
Lampenanzünder (Tenor)
Sergeant der Bogenschützen (Bass)
Seekapitän (Bass)

ERSTER AKT

IN AMIENS

Ein geräumiger Platz bei der Pariser Poststation
(Rechts eine Allee, links ein Wirtshaus mit einer
Vorhalle, in der Tische und Stühle stehen. Eine äußere
Treppe führt in den ersten Stock. Studenten, Bürger
und Soldaten passieren den Platz. Andere sitzen an den
Tischen und spielen Karten.)


EDMONDO (umgeben von Studenten)
Sei gegrüßt, Abend, mag das Licht still vergehn.
Zünd’ an die Sterne, laß den Zephyr wehn.
Seid, Poeten, gegrüßt und, ach, die Liebe...

STUDENTEN
Ha ha ha!
Auf Diebe und Betrunkene!
Wir unterbrachen recht brutal dein Madrigal!

EDMONDO
Ich bin euch dankbar!
Seht das fröhliche Gedränge im grünen Schatten;
frisch, lachend, gehen die Schönen,
unsre jungen Arbeiterinnen.

STUDENTEN
Fürwahr, das tummelt froh sich...

EDMONDO
Shet, hier ist mein Madrigal,
launig, dreist und lustig.
Sie kommen in hellen Scharen,
unsre jungen Arbeiterinnen.

STUDENTEN
Frisch, lachend, gehen die Schönen.

EDMONDO
Seht, hier ist mein Madrigal, dreist und lustig,
getaucht sei meine Muse ganz in Galanterie.
(zu einigen Mädchen)
Mein Panier ist die frohe Jugend,
und die Hoffnung mein Ideal.
Hat beim Schopfe uns die Tugend,
unbezwinglich sind wir dann.

STUDENTEN
Mein Panier ist die frohe Jugend,
und die Hoffnung mein Ideal.
Hat beim Schopfe uns die Tugend,
unbezwinglich sind wir dann.
Eil’ger Frohsinn, bann’, was schmerzt,
noch blüht des Lebens holder Mai,
drum singt und scherzt...

MÄDCHEN
Wehen vom Himmel des Abendwindes Düfte,
eilen heimwärts die Schwalben
pfeilschnell durch die Lüfte.

STUDENTEN dann BÜRGER
Reicht die Herzen. reicht den Mund,
unsrer Jugend frohem Bund!

MÄDCHEN
Dann schlägt die Stunde aller Phantasie...
Dann ringt die Lebenslust mit tiefer Melancholie.
(Des Grieux tritt auf.)

STUDENTEN
Seht, Des Grieux!

EDMONDO (zu Des Grieux)
Mit uns gemeinsam, Freund, sei heiter,
überwinde den Groll um jenes Abenteuer.
Keine Antwort? Was gibt’s?
Quält dich, o Freund, weil eine Schöne
dich verschmäht, glücklos die Liebe?

DES GRIEUX
Die Liebe?... Die Liebe?...
Nicht als Tragödie, noch als Komödie
kenn’ ich diese Triebe!
(Edmondo und einige Studenten halten Des Grieux im
Gespräch fest. Andere machen den vorbeiflanierenden
Mädchen den Hof.)

STUDENTEN
Kostbar! Deine heimlichen Siege möchtest du uns
verhehlen!

DES GRIEUX
Zu viel der Ehr’ ist das, ihr Freunde.

EDMONDO und STUDENTEN
Beim Zeus! Du bist verstimmt, gesteh’s nur...
Vielleicht durch eine spröde Nippfigur...

DES GRIEUX
Nein, nein, ihr irrt euch...
Doch wenn’s euch Vergnügen macht...
Das Opfer sei gebracht!
(Er geht zu einer Gruppe Mädchen.)
Unter all euch schönen Kindern, blond und braun,
ist eine wohl, die gern mich beglückt,
mit rosigem Mündchen nur auf ein Stündchen?
Sag, bist du es, die ich lieben soll?
Sprich es keck nur aus, mein Kind,
daß ich mein Schicksal bald erfahre;
zeig mir geschwind deine glühenden Wangen,
dein heiß’ Verlangen.
(Edmondo und die Studenten lachen.)
Unter all euch schönen Kindern, blond und braun, usw.
Sag, bist du es, die ich lieben soll?

EDMONDO und STUDENTEN
Vortrefflich!

EDMONDO
Nun seht, Kameraden!
Wem brächte solche Werbung Schaden?

CHOR
Vortrefflich!
Laßt den Abend uns feiern!
Dabei fehlt nie ein Zecher...
Hell ertönt
und begeistert
Musik im Becherklang,

froh mit Tanz und Gesang!
Laßt den Abend uns feiern!
Lieder und Wein und bunte Reigen
feuern an die Lebenslust;
hüllet sich die Nacht in Schweigen,
klopft das Herz bang in der Brust.
Schimmernd taucht auf am Himmel,
wie ein Gedicht, der Sterne Heer!
Leuchte uns mächtig,
Licht der Lust!
Schimmernd taucht auf am Himmel, usw.
(Von fern hört man das Horn des Postillons.)
Seht! Von Arras die Post!
(Die Postkutsche hält vor dem Gasthaus. Aus dem
Wagen steigt Lescaut, dann Geronte, der galant Manon
hilft; dann folgen weitere Passagiere.)
Sie steigen aus, schaut zu!
Elegante Leute! Wohl vornehm gar!

STUDENTEN (Manon bewundernd)
Wer böt’ nicht dieser zarten Schönen
von Herzend kommen einen Willkommensgruß?

LESCAUT
He! Wirtschaft!
(zu Geronte)
Werter Herr! Ihr seid ein Muster jeder Tugend...
He! Wirtschaft!

WIRT (herbeilaufend, von Kellnern begleitet)
Da bin ich schon!

DES GRIEUX (Manon beobachtend)
Götter, wie sie schön ist!

GERONTE (zu dem Wirt)
Diese Nacht, mein Freund, beschütz’ uns Euer Haus.
(zu Lescaut)
Entschuldigt!
(zu dem Wirt)
Und jetzt seid wohl besorgt, Herr Wirt, um meine
Koffer.

WIRT
(gibt dem Personal Befehle)
Gewiß, sogleich!
(zu Geronte und Lescaut)
Ich bitte mir zu folgen, ihr Herrn...
(Die Außentreppe zum ersten Stock hinaufsteigend,
gefolgt von Geronte und Lescaut, der Manon ein
Zeichen gibt, zu warten.)

DES GRIEUX (zu Manon)
Mein gnädiges Fräulein, darf ich eine Bitte wagen:
Laßt Euren süßen Mund mir Euren Namen sagen...

MANON
Man ruft mich Manon Lescaut.

DES GRIEUX
Wollt verzeihn meine Kühnheit,
doch ein tiefes Gefühl zog mich unhaltsam zu Euch!
Seit Euer Auge mir zeigte ein Himmelreich,
bin ich verwandelt im Herzen;
drum verzeiht,
wenn ich nimmer kann scherzen! Sprecht, wann reist
Ihr weiter?

MANON
Bei Tagesanbruch morgen...
mein wartet das Kloster...

DES GRIEUX
Um zu begraben dies wunderschöne Antlitz
in der Blüte? O teures Mädchen...
Ach, welches Schicksal verfolgt Euch?

MANON
Ach, mein Schicksal ist einfach;
es heißt: der Wille des Vaters.

DES GRIEUX
Wie ist sie zum Entzücken! Ach nein, nein,
in keinem Kloster begrabt Euer Leben!
Euer Stern wird neu erstrahlen,
Euch neue Hoffnung geben.

MANON
Mein Stern ist im Erlöschen!

DES GRIEUX
Jetzt können wir nicht sprechen;
zur Nacht kehrt heimlich wieder,
uns zu verschwören
und das Schicksal zu betören...

MANON
Ach, so viel Mitleid tönt mir aus Euren Worten.
Ich denke Euer.
Sagt Euren Namen mir!

DES GRIEUX
Bin Renato des Grieux!

LESCAUT (von innen)
Manon!

MANON
Ich muß Euch lassen...
(zum Gasthaus gewendet)
Ich komme!
(zu Des Grieux)
Der Bruder hat gerufen!

DES GRIEUX
Kehrt Ihr wieder?

MANON
Nein, ich kann nicht, laßt mich ziehen.

DES GRIEUX
Ach Teure, ich beschwöre Euch...

MANON
Nun, Ihr siegtet...
Wenn die Nacht herabsank, kehre ich zurück...
(Unterbricht sich, Lescaut erblickend, der vom Balkon
des Gasthauses kommt. Sie treten ins Zimmer.)

DES GRIEUX
Wo lebte wohl ein Wesen, an Reiz gleichend ihr?
Nun, da ich sie liebe,
wacht auf ein neues Leben tief in mir.
„Man ruft mich Manon Lescaut.“
Ah, dieses Wort strömt aus einem Meer von Düften,
den Geist mir kühn berauschend,
und tausend Seufzer fiebern in den Lüften!
Holdes Flüstern vom Glücke, ach ende nimmermehr,
usw.


„Man ruft mich Manon Lescaut!“
Holdes Flüstern vom Glücke, ach ende nimmermehr!
(Edmondo und die Studenten haben Des Grieux
beobachtet und nähern sich ihm nun langsam.)


EDMONDO und STUDENTEN
Es hat dein Schicksal sich froh gewendet!
Cupidos würdig, einem Engel
gleich ist diese Schöne,
die voll von Reizen schwebt zum Himmelreich! usw.
(Des Grieux geht unwillig rasch davon.)
Er ist verliebt zum Sterben!
(Sie gehen wieder zum Wirtshaus zurück, mit einigen
Mädchen galant neckend.)

STUDENTEN
Kommt, liebliche Mädchen,
wir weissagen Gutes!

MÄDCHEN
Wer wählt eine Blonde? Nein, braun mag man leiden.
Die Göttin der Liebe soll jegliches Streiten entscheiden.

GERONTE
Also nimmt Eure Schwester im Ernst den Schleier?

LESCAUT
So hat’s beschlossen die Familie, leider...

GERONTE
Ihr, wie mich dünkt, seid andrer Meinung?

LESCAUT
Seht,
ich urteile klarer als meine Umgebung,

so klug sie sich vorkommt bei ihren Entschlüssen.
Glaubt, ich kenne das Leben schon zu vielfach.
Paris gilt mir als hohe Schule...
Doch als der Leiter gleichsam meiner Schwester füg’
ich mich den Dingen
wie ein guter Soldat.

MÄDCHEN
Für Stunden nur schwöret ihr Treu’ uns, möchtet,
Seufzer und Küsse nicht achtend, unser Herz.
Ah! Im Taumel kurz genießen
die Küsse auf Stunden im Raub!

STUDENTEN
Nicht wäget Gewinn und Verlust:
O Mädchen, weise lebet der Lust!

LESCAUT
Nur dünkt mich: falsch ist’s, zu entsagen der Welt;
für nicht genoß’ne Freuden
wird uns nie ein Ersatz.
Gern, Herr, wüßt ich, wer Ihr seid.

GERONTE
Geronte di Ravoir.

STUDENTEN
Ob weinend, ob lachend, man duldet sein Los.
Wir werden genarrt und betrogen,
zum Troste ist eines bloß:
Es locken die Stimmen zum ewigen Lieben, usw.

MÄDCHEN
Wir feiern Siege gern und schmücken
Besiegten das Herz.

Im zitternden Leben, ach,
tauschend Kuß um Kuß,
vergessen kühn wir Schande und Schmerz.,usw.

EDMONDO (zu einem Mädchen)
Leb wohl, mein Stern, liebliche Blüte, leb wohl!
Reizende Schwester der Aphrodite, dir gefällt stets
mein Seufzen neu... Für einen Tag
glaub’ ich deiner Treu.
(Er verabschiedet sich von dem Mädchen, erblickt
Geronte und Lescaut, tritt zurück und belauscht deren
Gespräch.)

LESCAUT
Es scheint, Ihr reiset zum Vergnügen?

GERONTE
Nein, im Amte.
Die Pachtung aller Steuern ward mir vertraut durch
königliche Gunst. Und davon leb’ ich.

LESCAUT (für sich)
Ein Geldsack ist er!

GERONTE
Mir scheint, Eure Schwester ist nicht heiter.

LESCAUT
Mit achtzehn ins Kloster!
Ohne Trost, ohne Hoffen...

GERONTE
Verstehe! Ja, die Ärmste:
Man muß sie trösten, zerstreuen...
Darf zu Tisch ich Euch heute abend bitten?

LESCAUT
Besten Dank, zu viel Ehre!
(Er gibt ein Zeichen nach dem Gasthause hin.)
Erlaubt, daß ich bis dahin...

GERONTE
Verzeihung! Im Moment bin ich wieder bei Euch.
Eine Kleinigkeit ist noch im Gasthof zu ordnen!
(Lescaut verbeugt sich, Geronte geht ins Haus. Es
beginnt zu dunkeln; aus dem Hause bringt man
Lampen für die Spieler.)


BÜRGER
Ein Ass hier... Ein Bube...

STUDENTEN
Die Drei!

ALLE
Das Spiel hol’ doch der Teufel!

LESCAUT (mit fiebernder Spannung)
Ja, das Spiel! Ob ich auch mal mein Glück versuch’?
Einige tüchtige Stiche...

ALLE
Schnell setzet... Gebet... Ein Ass!

LESCAUT
(Er nähert sich eifrig einigen Studenten, sieht einem
der Spieler über die Schulter, beobachtet ihn.)
Das Ass sticht? Nein, ihr Herrn, der Bube!
Das ist wohl ein Irrtum!

ALLE
Ganz recht: der Bube! Ihr seid ein Meister!

LESCAUT
Ihr scherzet wohl! Ein Dilettant nur...
(Er folgt einer Einladung und setzt sich zum Spiel.
Geronte, der Lescaut die ganze Zeit beobachtet hat
und ihn nun beschäftigt sieht, winkt den Wirt zu sich
in den Schatten.)

GERONTE
Freund, hört mich.. laßt rasch mich zahlen! Dann aber
sorgt, daß ein Wagen
mit windschnellen Pferden bereitsteht in einer Stunde.

WIRT
Wird besorgt, Herr

GERONTE
Hinter dem Hause... in einer Stunde... Verstanden?
Ein Mann steigt ein, mit einem Mädchen...
dann fort mit Windeseile, schnell, gen Paris!
Ferner bedenkt, Euer Schweigen bringt Euch Gold!

WIRT
‘s ist mein Abgott!

GERONTE
Gut so, gut so!
(gibt ihm eine Börse)
Betet’s an, doch streng gehorcht. Sagt mir jetzt noch:
hat das Gasthaus denn nur diesen einen Ausgang?

WIRT
Nein, noch einen..

GERONTE
Zeigt zu diesem mir den Weg...
(Sie gehen hinaus.)

MÄDCHEN
Ihr wollt Küsse, Seufzer!
DIE SPIELER (zu Lescaut)
Nehmt teil... Willkommen beim Spiele...

LESCAUT
Ich halte!

EDMONDO
(Edmondo läuft nach dem Hintergrunde, immer noch
nach Geronte spähend.)
Würdiger Alter,
du bist ein gepuderter Pluto ja!
Doch Proserpina hat vielleicht Tugend genug,
zu widerstehen!
(Des Grieux kommt.)
(zu Des Grieux)
Freund, man spielt Euch einen Possen!

DES GRIEUX (überrascht)
Was wäre das?

EDMONDO
Wie eine Blume,
die gestern süß duftete, und heut’ ihrem Stengel
welk und müde entsinkt, so welkt die Freude bin,
die Euch das liebliche Fräulein eben noch bot:
man raubt sie.
Es bläst sein Horn der Postillon,

dein hübsches Mädchen rollt,
keck entführt, davon!

DES GRIEUX
Wär’s möglich?

EDMONDO
Ich seh Euch erbeben!
Bei Gott: ein Alter stiehlt sie.

DES GRIEUX
Ich will sie hier erwarten, verstehst du?

EDMONDO
Und gut gerüstet..

DES GRIEUX
Rettet mich!

EDMONDO
Euch retten? Die Entführung verhindern?
Laßt sehn... Sei’s drum! So wird es gehen...
Mit Spielen ködern wir den Soldaten dort!

DES GRIEUX
Und der Alte?

EDMONDO
Der Alte?... nun, den übernehme ich!
(Er nähert sich den Spielern, spricht mehreren ins Ohr,
dann geht er durch das Portal hinaus. Man unterbricht
das Spiel. Lescaut trinkt mit den Studenten weiter.
Manon erscheint auf der Treppe oben, schaut sich
ängstlich um und steigt, Des Grieux erblickend, die
Treppe herunter)

MANON
Nun seht Ihr! Ich hab’ getreulich,
was ich versprach, gehalten.
Ihr batet heiß mich, noch einmal zu erscheinen.
Ich tat’s! Nun mag das Schicksal walten.
Doch jetzt ist’s besser, daß wir scheiden;
ich muß dem Flehen tapfer widerstehn!

DES GRIEUX
Wie Eure Worte mir ins Herz schneiden...
In Euren jungen Jahren. was habt
Ihr Herbes wohl erfahren?
Euer Grübeln und Wägen stehet allem Genießen
schroff entgegen... Laßt sie beiseite,
ach, diese Traurigkeit.

MANON
Und doch war ich einst so fröhlich, so vergnügt!
Die stille Hütte hallt’ laut wieder
von den tollsten Streichen...
Mit jungen Mädchen im Reigen sang ich
die froh’sten Lieder.
Sonnige Kinderzeit, wie liegst du weit!

DES GRIEUX
In deinen Himmelsaugen leuchtet mächtig
die Sehnsucht nach der Liebe stillen Freuden...
Und Liebe ist’s, die jetzt zu Euch spricht!
Gebt dem süßen Zauber Euch hin;
reicht die ros’gen Lippen dar und das Herz,
denn ich lieb’ Euch tief und wahr,
nach Euch in Flammen steht ewig,
ach, mein Sinn!

MANON
Bin nur ein armes Mädchen,
o Herr, nicht Schönheit lacht mir vom Angesicht,
mein Schicksal drückt mich schwer...

DES GRIEUX
Die Glut der Liebe wird schmelzen Euren Schmerz,
und Eure Schönheit berauschen
ewig dies Herz!
Ah, mein Seufzer bist du, meine Sonne, mein Stern!

MANON
Sprichst du wahr. oder trügt mich dein Blick?
Ah! Erfülle dich, Traum, meine Sonne, mein Stern!

LESCAUT
(sich mühsam aufrichtend und berauscht auf den Tisch
pochend)
Was, keinen Wein mehr?
Verwünscht! Pfui, wenn der Krug leer!
(Die Studenten nötigen ihn, sich wieder zu setzen.
Manon und Des Grieux ziehen sich beim Ertönen seiner
Stimme auf die Seite zurück.)

DES GRIEUX
O laßt Euch warnen...
Euch bedrohen Schimpf und Schande...
Man will Euch rauben!
Jener verruchte Alte,
der gleichzeitig mit Euch ankam,
hegt den Anschlag zu entführen Euch!...

MANON
Was sagt Ihr?

DES GRIEUX
Die Wahrheit

EDMONDO
(kommt schnell zu Manon und Des Grieux gelaufen)
Der Streich gelingt, der Wagen steht bereit schon...
Welch königlicher Spaß!
Schnell auf die Reise!

MANON
Wie? Entfliehen?

DES GRIEUX
O kommt doch! Wir reisen!
Erlaubt, daß statt des Andren ich Euch entführe!...

MANON
Ach nein! Ach nein! Das wäre Raub ja!

DES GRIEUX
Nein! Nein! Der Liebe folgt Ihr!

MANON
Ah! Nein!

DES GRIEUX
Ich bitte Euch!

EDMONDO
Rasch fort, Kinder!

DES GRIEUX
Ah, laß und fliehen, laß uns fliehen!
Manon, ich bitte Euch... o kommt, o kommt!

MANON
Nein! Nein! Nein! Nein!

EDMONDO
Rasch fort, rasch fort!

DES GRIEUX
Manon, ich bitte Euch...
Ah! Kommt!
Kommt!

MANON
Fliehn wir!

EDMONDO
Närrische Leute!
(Er wirft Des Grieux seinen Studentenmantel über, in
dem Des Grieux sein Gesicht verbirgt, dann fliehen alle
drei hinter das Gasthaus. Geronte tritt ein, wirft einen
Blick auf Lescaut und seufzt erleichtert auf)

GERONTE
Jetzt die Schwester zu bereden,
zu verführen laßt mich machen!
Mir ganz recht, er ist betrunken!
’s ist zum Lachen!
(zu dem Wirt)
Nun also, ist das Essen fertig?

WIRT
Zu dienen. Herr!

GERONTE
Sagt’s dem Fräulein, das später, Ihr wißt es, mit...

EDMONDO (zu Geronte)
Euer Gnaden, seht doch nur hin! Sie entflieht,
und nicht allein! Seht doch nur hin!

GERONTE
(rennt dann in höchster Verwirrung zu Lescaut)
Man hat sie entführt!

LESCAUT (weiterspielend)
Wen?

GERONTE
Eure Schwester!

LESCAUT
Bomben und Granaten!

GERONTE
Schnell ihr nach! Ein Student ist bei ihr!
Schnell ihr nach, schnell ihr nach!

LESCAUT
‘s ist zu spät. denkt nur nach, denkt nur nach...
Habt Pferde Ihr bereit?
(Geronte schüttelt den Kopf)
‘’ ist nichts zu machen!
Nur vergessen und lachen!
Jawohl, Manon, so jung und reizend lieblich;
Ihr liebt sie nur als Vater, ich glaub ,es ist so, wirklich...

GERONTE
Nichts anderes.

LESCAUT
Ihr wißt, wem Ihr’s sagt...
Nehmt von mir den guten Rat noch an und befolgt
ihn ohn’ Bedenken...
Paris, ja, dort ist Manon... Manon!
Noch ist sie nicht verloren.
Denn ein Studentenbeutel
ist nie gar voll gespickt:
Manon will nicht entbehren,
sie wird ihn sitzenlassen,
’s wird Gold ihr besser passen.
Guter Vater werdet
Ihr dem Töchterlein wohl sein,
Laßt im Bunde, Euer Gnaden, dann wohl auch mich
sein.
Zum Teufel auch...
Philosoph muß man sein...

EDMONDO und STUDENTEN
Lose Lüftchen, leise Düftchen,
die ihr unter Blumen weilet, gehet und eilet
zu verkünden allen Winden
diese Mähr.
Schon zum Becher neigten sich die Lippen gierig,
wollten sich erquicken, schlürften schon begehrlich.

LESCAUT
Nehmt den Hut jetzt und gebt acht!
Morgen früh wir brechen auf!
Zur Abendtafel
gehn wir nun! Reicht mir den Arm!
Mit dem Strom muß man zu schwimmen wissen,
denn...
(Sie gehen ab.)

STUDENTEN
Lose Lüftchen, leise Düftchen, usw.
Die Trauben, die frischen,
die süßen sind zu hoch, zu herb,
Altes Füchslein, altes Füchslein, Ade!
(Lescaut kommt beim Gelächter drohend heraus, die
Studenten entfliehen lachend.)

ZWEITER AKT

IN PARIS

Ein eleganter Salon in Gerontes Haus
(Im Hintergrunde zwei Türen.. Rechts verhüllen reiche
Vorhänge den Eingang zu einem Alkoven. Links nahe
dem Fenster ein luxuriöser Toilettentisch. Manon sitzt
vor dem Toilettentisch, bedeckt mit einem weißen
Pudermantel. Der Friseur ist eifrig um sie beschäftigt.
Zwei Knaben stehen, um seine Befehle sofort
auszuführen.)


MANON (sich im Spiegel betrachtend)
Du trotzig’ Haar, was soll dein Sträuben!
(zum Friseur)
Schnell, nehmt das Eisen, brennet! Rasch doch!
(Der Friseur springt hastig hin und her, brennt die Locke
mit dem Eisen.)
Hier ist die Flüchtige’
Ein wenig trennt die Brauen...
Reicht Bleichweiß... Die Creme...
(zufrieden)
Die Blicke schießen scharf wie Pfeile.
Hierher die Narzisse!

LESCAUT (durch die hintere Tür eintretend)
Ich grüß dich, kleine Schwester!

MANON (zum Friseur)
Die Schminke und Pomade!

LESCAUT
Bist diesen Morgen, scheint es, übler Laune!

MANON
Übler Laune? Wieso?

LESCAUT
Nicht? Um so besser!
Geronte ging schon?
Welche Hast, zu verlassen dein Gemach!

MANON (zum Friseur)
Nun Schönheitspflaster!
(Der Friseur bringt die Schachtel; Manon stöbert darin
herum und ist unschlüssig.)

LESCAUT
Dies wirket keck! ausgefeimt ist das!...
Nicht?... Dies verführet!

MANON
Weiß nicht recht...
so sei’s!... hier die zwei!
Am Aug’ den Dolch der Kälte, am Munde das
Schmachten nach Küssen!
(Der Friseur legt die beiden Pflästerchen auf, dann
nimmt er Manon stolz den Pudermantel ab. Sie ist nun
reich gekleidet, frisiert und geschmückt. Er verbeugt sich
elegant vor Manon und geht mit seinen Gehilfen ab.)

LESCAUT (Manon betrachtend)
Ah, welch prächtiger Anblick!
Wie bist du schön glänzend!
Es ist mein Stolz,
ich rettet’ dich von
des Studenten armer Liebe!
Als damals von Amiens mit Des Grieux du flohest,
sank nie mein Mut, noch ward mein Hoffen trübe!
Da ahnt’ ich dein Geschick,
sah voraus den Glanz,
der in diesen Sälen schimmernd dich umgibt.
Wie fand ich dich darbend!
In einer engen Hütte warst du
von ihm geborgen,
zahllos gab’s dort Küsse, doch mehr noch Sorgen.
Wohl war’s ein braver Junge, der Des Grieux.
Jedoch ein Steuerpächter war er nicht, Parbleu!
Darum natürlich schien’s, daß du des Mangels müde
annahmst die gold’ne Pracht hier und flohst der
Armut Friede.

MANON
Doch sag’ mir...

LESCAUT
Sprich, was willst du?...

MANON
Nicht doch!

LESCAUT
Gar nichts? Ist’s wahr?

MANON
Ich wollte dich nur fragen.

LESCAUT
Ich geb’ Bescheid!

MANON
Du gibst Bescheid?

LESCAUT
Verstehe!
Deine Augen verraten deinen Wunsch mir:
Wenn Geronte dein Sinnen wüßte!...

MANON
Ganz recht! Geraten!

LESCAUT
Du möchtest Nachricht von... ihm?

MANON
Ach ja, ach ja! Hab’ ihn verlassen ganz
ohne Gruß und Kuß! Ach!
(sich in dem hocheleganten Salon umsehend)
Ach, in den kalten Spitzen
hier herrscht nur Pracht,
ödes Schweigen; o mich schaudert,
ich erfriere;
will kein Herz sich zärtlich zu mir neigen!
Einst kannt’ ich andre Wonnen,
von seel’ger Liebe war die Seele trunken,
die heißen Lippen suchten seine Küsse,
die Erde schien uns versunken!
Du meine stille Hütte,
dich seh’ im Geist ich wieder, weiß schimmernd,
traulich, zart umblüht von Flieder. In dem engsten
Raum genoß ich von Glück den Traum!
LESCAUT
Nun wohl, ich will gestehen...
Des Grieux, genau wie Geronte,
ist eng befreundet mit mir.
Er hört nicht auf zu quälen:
Ist Manon hier?
Ist sie geflohn? Wohin? Mit wem?
Wohin? Nach Nord? Nach Ost, nach West?
Und ich täusche ihn!
Nunmehr ist er gefaßter.

MANON
Wie, er vergaß mich?

LESCAUT
Nein! nein!... Er hegt den Wahn, daß er mit Gold einst
fänd einen Pfad, der hin zu dir ihn führt.
Im Spiel möcht’ er fiebernd mehren sein Vermögen;
er denkt, die Karte siegt, die er berührt!

MANON (für sich)
Kämpfst um mich,
die verlassen dich hat
so schmählich, die dir so viel Schmerz bereitet!
Kehr wieder! Bring die Vergangenheit mir zurück!
Selige Stunden, kehrt wieder, wo mich küßt’ sein Mund.
Ah! In seinen Armen,
an seinem Odem
trink’ ich in Wonne mich ewig gesund!
O sieh, wie ich schön bin. Komm! Komm!
Ah! Ah! Geliebter, nimm aufs neu mich hin!

LESCAUT
Ganz unter uns: Ich weiß als alter Spieler,
die allgemeine Kasse wird in seine bald fließen!

Von mir wohl unterrichtet, wird er alle noch rupfen.
Doch in der atemlosen Pein des Kampfes,
in Qualen Tag und Nacht, ruht dann erst sein
Wahnsinn, wenn er dein gedacht.
Bei jedem Spielschluß, wie im Traum, fragt er nach
Manon, seufzt, ringt die Hände, fragt, wo du seist!
Dann setzt er aufs neu und er gewinnt am Ende!
(Manon versinkt in Nachdenken; plötzlich fallen ihre
Blicke auf den Spiegel.)


MANON
Ist’s wahr, daß dieser Anzug
zum Bewundern mir steht?

LESCAUT
Wie angegossen!

MANON
Und das Haar?

LESCAUT
Ausgezeichnet!

MANON
Die Büste?

LESCAUT
Prächtig!
(Einige gepuderte Musikanten treten ein und
verbeugen sich vor Manon. Dann gruppieren sie sich
mit ihren Notenblättern auf einer Seite.)
(leise, zu Manon)
Welch sonderbares Volk!
Wie es scheint, Scharlatane?

MANON
Nein, Musiker! Denn Geronte macht gerne
Madrigale!

SOLIST
Auf des Berges Höhen wandelst du,
o Chloe,
Blumen sind deine Lippen,
Brunnen deine Augen.

CHOR
O weh! O weh! Zu Füßen liegt Filer.

SOLIST
Golden weht dein Haar im Winde,
wie ein Wunder zu schau’n!
Es gleicht die nackte Brust
Lilien im Morgentau’!

CHOR
Chloe bist du, Manon,
und in Filen verwandelt sich Geronte!
Filen bläst die Schalmei
und seine Melodie flehet sanft: hab doch Mitleid!
Das Echo flüstert: Ja, Mitleid! es flüstert: Hab Mitleid!
Armer Filen: Chloe kennet kein Herz!
Sieh!... jetzt naht ihr Filen!
Doch... Zärtlich tönet Chloes Antwort auf der Schalmei:
Die Töne, fürwahr, sie flüstern nicht „nein!“

MANON (gelangweilt, gibt Lescaut eine Börse)
Zahl’ ihren Lohn!

LESCAUT (steckt die Börse ein)
Nicht doch! Die Kunst beleid’gen?

(zu den Musikern)
Seid mir entlassen im Namen wahren Ruhmes!
(Die Musiker verbeugen sich und gehen hinaus. Durch
die andere Türe sieht man einige Freunde des Geronte,
ältere Herren, eintreten.)

MANON (zu Lescaut)
Ja, Madrigale!... Die Tanzkunst... und dann Musik!
‘s sind alles schöne Sachen... Doch mich langweilt’s!...
(Die Quartettspieler treten ein, sammeln sich links im
Hintergrunde und stimmen ihre Instrumente. Manon
erhebt sich und geht nach hinten, Geronte entgegen,
welcher plaudernd mit dem Ballettmeister kommt, um
Manons Menuett-Unterricht zu verfolgen.)


LESCAUT (für sich)
Ein junges Weib. das so blasiert ist,
könnt’ man fast fürchten...
Und nun zu Des Grieux!
Er selber muß das ganze vorher ordnen!...
(Er geht unbemerkt ab. Ein Diener führt Gerontes
Freunde ein, die sich zu Manon beeilen.)

TANZMEISTER
(nähert sich Manon und reicht ihr die Hand)
Ich bitte, gnädiges Fräulein...
die Brust noch mehr erhoben... recht so... sehr gut,
nun darf ich Euch loben... Mit Eurem ganzen
Selbstbewußtsein schreitet vorwärts!
setzt ein!
Inständig bitt’ ich, im Takt bleibt!

GERONTE
Anbetungswürd’ge Tänzerin!

MANON
Noch etwas linkisch.

TANZMEISTER
Ich warn’ Euch: hört solch’ Schmeicheln
nur an mit großer Ungunst...
Ein ernstes Ding ist die Tanzkunst!

HERREN und ABBÉS (leise, zu Geronte)
Lernt weise schweigen, Freund,
macht darin es genau wie wir.
In der Stille nur huldigt, seid von Manon entzückt Ihr.
Ernst ist die Tanzkunst...

TANZMEISTER (zu Manon)
Jetzt wenden!... Gut so!
Zur Rechten!... Nun Verbeugung!
Gebt acht jetzt! Die Lorgnette!

GERONTE
Das Menuett ist vollkommen!

HERREN und ABBÉS
Welcher Liebreiz in den Blicken,
welche Schönheit
zum Entzücken.
Sternen gleichen ihre Augen.
Von den Lippen süß wie Honig
möcht’ ich ewig Küsse saugen!

GERONTE
Welche Schönheit!
Worte können sie nicht schildern.
Ah, sie gleicht hehren Götterbildern!

MANON
Gold’nes Lob rauscht durch die Lüfte,
rings um mich hör’ ich sie flüstern.
Alle spenden Lobeshymnen, sind nach meiner
Schönheit lüstern!... Ah!
Gold’nes Lob rauscht durch die Lüfte,
ringsum höre ich sie flüstern.

GERONTE
Glühend ist mein Herz entzündet!

MANON
Alle spenden Lobeshymnen, sind nach meiner
Schönheit lüstern!

GERONTE
Glühend ist mein Herz entzündet...
daß die Ruh’ muß delirieren!

HERREN und ABBÉS
Manon ist des Lichtes Göttin!
Und die Königin der Nächte!
(Der Tanzmeister macht Zeichen der Ungeduld.)

MANON
Mein guter Meister... er will nicht viele Worte.
Wenn Ihr so schmeichelt, dann werd’ ich nie
die vollkomm’ne Göttin, die Ihr jetzt in mir seht,
nur vermöge Eurer glühenden Phantasie.
Darum Maß im Lob, werte Herren!

TANZMEISTER
Wo bleibt der Herr?

GERONTE (Herbeieilend)
Schon da...

HERREN und ABBÉS
Trefflich! Welch ein Paar ist’s!
Lang soll der Frohsinn der Verliebten blühen!
Seht: Gott Merkur und Venus! Ganz wie Reichtum und
Liebe! Oh! daß dies Liebesglück Euch, ganz wie
Reichtum und Liebe, oh, daß dieses Liebesglück Euch
ewig verbunden doch bliebe!

MANON
Hörst du die Stunde. Tyrso, locken...
die still verschwiegen beut uns Wonne?
Deine treue Schäferin seufzt zu dir nur hin.
Ach!... am Himmel stirbt die Sonne!
Plötzlich nahst du, dem Blitze gleichend,
machest hell. was bang und trübe!
Heiter lacht nun die Welt, die uns umfangen hält,
und dieses Wunder tat die Liebe!

HERREN und ABBÉS
Ein Wunder seid, Manon, Ihr selbst;
Ihr selber seid die Liebe. Ihr seid das Glück!

GERONTE (mischt sich ein)
Die Galanterie in Ehren, doch,
Ihr Herren, es ist spät schon!
Die Menge wogt bereits durch das Tor ins Freie!

HERREN und ABBÉS
Die Zeit verflog uns!

GERONTE
Ich weiß das aus Erfahrung.

(zu Manon)
Meines Lebens holder Lichtstrahl,
mit uns zu gehn, war Euer Versprechen.
Wir schreiten ein wenig voran Euch...

MANON
Nur einen Augenblick bedarf ich!
Auf mich zu warten ist leicht Euch
in der schönen Welt.

HERREN und ABBÉS
Schwer ist’s, Euch zu entbehren...

GERONTE
Für unsrer Seele Seufzen
laßt die Strafe nicht lang sein.
(Alle gehen. Man verbeugt sich, die Herren küssen
Manon die Hand. Auch der Tanzmeister und die
Musiker gehen.)
Ich werde die Sänfte bestellen.
Leb wohl meine holde Göttin!
(geht ab)

MANON
(läuft zum Tisch, nimmt einen Handspiegel und
betrachtet sich selbstgefällig)
Ah, ich bin doch die Schönste...
(Sie nimmt ihren Mantel. Als sie jemanden kommen
hört, denkt sie, es sei ein Diener.)
Ist die Sänfte gekommen?
(Des Grieux erscheint in der Tür, ganz blaß. Manon
stürzt ihm tief bewegt entgegen.)
Du! Du, Geliebter? Du?
Ah, meine höchste Liebe! Götter!

DES GRIEUX (vorwurfsvoll)
Manon, ach!

MANON
Nein, du liebst mich nimmermehr!
Und liebtest einst mich doch so sehr!
Wie mußt’ ich missen dein heißes Küssen!
Und eine Zeit nahte dann,
da fürchtet’ ich deine Rache.
O sieh mich finster nicht an:
Nie hat deiner Augen Stern
in früh’rer Zeit das getan!

DES GRIEUX
Ja, du Verworf’ne. fürcht’ meine Rache...

MANON
Ah! Ich bin schuldig, ich weiß es!

DES GRIEUX
Ah, du Verworf’ne, fürcht’ meine Rache...

MANON
Ah, ich büße! Du liebst mich nimmer –
nun verschwand mir der Hoffnung Schimmer!
Was war ich einst dir... Nun ist’s vorbei!
Trotz bitt’rer Reu’!

DES GRIEUX
Schweig, Verräterin, du brachst mein Herz, da du mich
verlassen!
Nein, du ahnst nicht die Leiden,
die sanken auf mich nieder, als du heimlich gefloh’n.

MANON
Doch jetzt sollst du verzeihn;
der Reichtum ist ganz mein.

DES GRIEUX
Schweige!

MANON
Gleicht dieses Haus nicht einem Feenschloß,
mit Gold geschmückt echt königlich,
und alles nur für dich!

DES GRIEUX
Geh, laß mich!

MANON
Stets mußt’ ich träumen von einer lichten Zukunft...
daß Liebe dich zurückführt...
Ich verriet dich einst,
(niederkniend)
jetzt zu Füßen dir
erfleh’ ich Mitleid...
Ach, nimm die Verräterin neu in Liebe hin!
Ah! Laß um Gnade mich flehen.
Nein, verweigere es nicht!
Bin ich denn weniger Manon heut’ als einst,
schwand meine Schönheit?

DES GRIEUX
O du Versucherin! O du Versucherin!
Der alte Zauber fesselt mich. Ich erliege.

MANON
Der Zauber ist’s der Liebe, folg’ ihm, sei wieder mein!

DES GRIEUX
Wer vermöchte noch zu kämpfen! Ja, ich bin dein!

MANON
Nimm an dein Herz mich... O komm!
O komm, in deinen Arm
nimm selig Manon; sie liebt dich...

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt, o du Versucherin!...

MANON
Presse ans Herz, die ganz allein
nach dir sich gesehnt hat, komm, sei mein!

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt!

MANON
Sieh ich bin dein!

DES GRIEUX
Ich fühl’ wie so schwach ich bin! Ich liebe dich!

MANON
O komm!

DES GRIEUX
... Ich liebe dich!

MANON
O komm!
Die ganz allein nach dir sich gesehnt hat.

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt!
Ich fühl’, wie so schwach ich bin! Ich liebe dich!

MANON
Komm!
Fest umschlinge dein Arm mich; Manon fleht heiß:
Erbarmen!

DES GRIEUX
In deiner Augen Tiefe
seh’ ich mein künftig’ Geschick;
was auch die Erde beut:
dein Kuß nur gibt mir das Glück!

MANON
Ah, Manon ersehnt deine Gunst allein.
Schnell laß an deinem Busen
innig mich ruhen und selig, selig sein!
Trunkene Küsse
drücke auf meinen Mund,
mache in Wonnen mich gesund!
O kehre mir zurück, du allein bist mein Glück, usw.
Sind meine Lippen ein Altar,
bring’ Opfer nun dar!

DES GRIEUX
Wie deine Küsse unermeßlich sind,
sei deine Liebe zu mir. O Kind!
Mein Herz ist neu berauscht.
Wie deine Küsse unermeßlich sind., usw.
In deiner Arme Seligkeit vergeß’ ich mein Leid!
Mein Herz unterliegt!

MANON
Welch ein seligster Gruß!

DES GRIEUX
Laß mich sterben Geliebter!

MANON
Gib deinen Mund zum Kuß!

MANON und DES GRIEUX
Wonneberauschte Stunde!...
(Geronte tritt plötzlich durch die Tür im Hintergrunde
ein und bleibt wie erstarrt stehen.)

MANON
Ah!

GERONTE
Verzeiht, mein holdes Fräulein,
jetzt weiß ich doch, warum wir so gewartet!
Ich kam zur Unzeit;
ein ungewollter Zufall,
doch wer irrt nicht hienieden?
(zu Des Grieux)
Ihr auch vergaßet, glaub’ ich, daß zum Beispiel
Ihr weilt in einem fremden Hause!

DES GRIEUX
Herr, hört mich...

MANON (zu Des Grieux)
Schweig du!

GERONTE
Danke den Göttern, wenn heute blühet für dich ein
Glückstag!
(zu Manon)
Euch zog’ ich ins Haus hier...
weil ich Euch wahrhaft liebte,
wovon ich die Proben zahllos Euch gegeben!

MANON
(sieht Geronte boshaft an, geht zum Tisch, von dem sie
einen kleinen Handspiegel nimmt.)
Liebe? Liebe!
Was wißt Ihr von der, mein Guter?
Hierher... Betrachtet Euch im Spiegel nur!
Stets, wenn ich irrt’, gesteh’ ich’s treu!
Und nun seht auf uns beide!

GERONTE
Ich bin verbunden Euch, edles Fräulein...
Ich kenne meine Pflichten...
schnell gilt’s zu scheiden hier...
O Ihr glücklicher Erbe, o leicht beschwingte Schönheit!
Wir sehn uns wieder...
und schon bald!
(Er stürmt hinaus.)

MANON (lachend)
Frei bin ich! Frei wie der Vogel dort oben!
Habt Dank, mein Herr, du meine Liebe!

DES GRIEUX
Hör jetzt! Wir müssen eilen: Nur einen Augenblick
gewähr’ uns des unverschämten Alten
Dach noch Schutz, dann fort!

MANON
Wie schade!
All die herrlichen Schätze
und der üppige Reichtum!
O weh! Ich soll’s verlassen!

DES GRIEUX
Ah! Manon!
Schändlich! Dich verrät dieser schlimme Gedanke!
Immer dieselbe, immer die Gleiche!
Zittern vor dem Ernste,
stets zwischen heißen Wünschen schwanken!
Gütig, voll Großmut,
wie deine Lieb’ ohne Maßen,
stets heftig von Begierden kannst du den Tand nicht
lassen...
Plötzlich, auf einmal, mutlos
und verzagend empfindest du die Schwere des Lebens!
Ich? Ich bin dein Sklave und dein Opfer, tief
gesunken...
Abwärts ging meine Laufbahn,
hab’ aus dem Schlamm getrunken...
Hab’ als ein rechter Held mich wüst
verkauft an ein Spielhaus!
Diese Schmach bringt, Ärmste, mich dir nah...
In dem Dunkel der Zukunft, sprich,
was soll werden aus mir?...

MANON
Mir, ach verzeihe, will treu und gut verbleiben,
ich schwör’ dir’s!
(Lescaut tritt schwer atmend ein; Manon und Des
Grieux gehen zu ihm.)

DES GRIEUX
Lescaut!

MANON
Bist du’s?
(Lescaut wirft sich keuchend in einen Sessel.)

DES GRIEUX, dann MANON
Was gibt’s denn? Sprich!
(Lescaut deutet durch Zeichen an, daß etwas
Schreckliches vorgefallen ist.)

MANON und DES GRIEUX
O Gott, wir zittern...
Was ist geschehen?

LESCAUT
Erst laßt mich atmen...

MANON und DES GRIEUX
Du machst uns beben...

LESCAUT
... dann rede ich.

MANON und DES GRIEUX
Was ist geschehen?

LESCAUT
Man zeigte euch an!

MANON
Wer?

DES GRIEUX
Der Alte?

LESCAUT
Ja!

MANON
O Himmel!

LESCAUT
Die Wache naht mit Militär!...

MANON
Der Schlag!

DES GRIEUX
Mein Gott!

LESCAUT
Den Kopf bewahrt, die Treppe dort schnell hinab im
Fluge!...

MANON
Ach Gott!

LESCAUT
Von einem Grenadiere im Quartier
hab’ ich alles erfahren...
Auf die Treppe hurtig, macht den Beinen Flügel,
rings nahen Häscher, zu fangen euch...
Darauf Brief und Siegel!...

DES GRIEUX
Schlau verraten hat uns der verfluchte Alte!

MANON
Was soll das werden!
Auf, auf, davon!

DES GRIEUX
Ja! Nimm dich in acht!

LESCAUT
Ah, ihr vergeßt, Ihr müßt sie verlieren,
wißt, daß man fort sie will führen.
Ihr Los steht jetzt auf dem Spiel: das Exil!

MANON
O Gott! der Tod!

LESCAUT
Hurtig, beeilt euch. zögert nicht länger!
Noch zwei Minuten, seid ihr verloren!
Schon von dem Stadthaus nahen sie, usw.,
Sicher vor Ärger wird der feige Alte sterben...
Kommt man und findet das Nest schon leer
und vermißt die neue Adresse!...

MANON
Ah, doch, ich eile...
(zu Lescaut)
Nur ein Weilchen! Sieh diesen blitzenden Smaragd
hier!
(zu Des Grieux)
Sogleich... Nur ja doch;
ganz schnell. Doch mir beistehn mußt du!

DES GRIEUX
Nimm dich in acht, alter Narr!

(zu Manon)
Auf, auf, laß uns gehn...
Zu was?

MANON
Manon!

MANON
Wickle sie ein...

LESCAUT
Jetzt fort!... Manon. schnell auf den Weg!

DES GRIEUX
Nun komm!

MANON
Sogleich! Doch erst mir helfen...

DES GRIEUX
O komm!

MANON
... gut zu verpacken diese Dinger!
Leere noch schnell hier diese Kassette!
Ach, diesen Reichtum den ich so liebte,
muß ich nun lassen als schmerzlich Betrübte!

DES GRIEUX
Auf, laß uns gehn! Komm, Manon!
Auf, laß uns gehn!
Jetzt gilt es Manon, tapfer zu scheiden...
Zögern wir noch, fängt man uns doch...
Schande drohet dir und Leiden!

LESCAUT
Schade füwahr, die prächtige Truhe!
Jetzt durch den Garten laßt uns entweichen..
in seinem Schatten vorsichtig schleichen;
aus ist das Bangen, sind wir erst unten:
Wer will uns fangen!

MANON
(ergreift weitere Juwelen und steckt sie in ihren
Mantel.)
Es wäre Torheit, zu lassen dieses Gold,
dem ich, ach, so hold!

DES GRIEUX
Nur dein Herz, o Manon, greife ohne Reu; ich mag
dein gleißend Gold nicht, denk’ an Liebe nur und Treu!

LESCAUT (läuft zum Fenster.)
Verfluchter Streich!
Sehet nur, sie umzingeln das Haus schon!

DES GRIEUX
Manon!

MANON
Des Grieux!
Hierher? Nach dort? Wohin entfliehen?
Nach dort!

DES GRIEUX
Auf, auf! Nein, nein!
Nach dort! Schnell, schnell!

LESCAUT
Der Alte führet sie an, kommandieret,
sie marschieren schon...

MANON
O Gott!

DES GRIEUX
Nun komm!

LESCAUT
Die Schützen verteilen sich!...
(Manon und Des Grieux, auf dem Höhepunkt ihrer
Verwirrung, sind ratlos, wohin sie fliehen sollen.
Lescaut läuft zur Türe. Er verschließt die Tür.)
Jetzt sind sie drin,
auf der Treppe schon!

DES GRIEUX
Sprich, ist hier nicht ein Ausgang?

MANON
Ja!... durch jenen Erker!

LESCAUT
(drängt Manon und Des Grieux in den Erker und folgt
ihnen.)
Vorwärts, sie steigen herauf schon, sie fangen euch!

MANON (schreit von innen)
Ah! Ah!

(Manon kommt wieder aus dem Erker heraus, mit
Lescaut und Des Grieux fliehend über die Szene
laufend. Aus dem Vorhang des Erkers tritt ein Sergeant
mit zwei Soldaten. Im selben Moment wird die hintere
Tür eingeschlagen, und mit all seiner Eitelkeit zeigt sich
Geronte mit einigen Soldaten.)


SERGEANT
Es rühr’ sich keiner!
(Geronte lächelt Manon boshaft zu, welche im Schreck
den Mantel mit dem Schmuck fallen läßt, der am
Boden umherrollt.)

LESCAUT
(entwaffnet Des Grieux, der den Degen gezogen hat)
Herr, wenn man Euch arretiert,
wer errettet Manon dann?
(Auf ein Zeichen Gerontes verhaftet der Sergeant
Manon, die von zwei Soldaten abgeführt wird.)

DES GRIEUX
(verzweifelt, möchte Manon nachstürzen, wird aber
von Lescaut zurückgehalten)
Manon. ach! Meine Manon!

INTERMEZZO

DIE GEFANGENSCHAFT – DIE REISE NACH LE HAVRE
Des Grieux: „... Tatsache ist, daß ich sie liebe! Meine
Leidenschaft ist so gewaltig, daß ich mich selbst als das
armseligste Wesen unter den Lebenden betrachte. –
Was unternahm ich nicht in Paris, um ihre Freilassung
zu erlangen!... Ich erbat Hilfe von den Mächtigen!... Ich
pochte und flehte an jeder Türe!... Selbst an Gewalt
dachte ich!... Alles ohne Erfolg. – Nur ein einziger Weg
bleibt: ihr zu folgen! Und ich werde ihr folgen! Wohin
sie immer gehen mag!... Sei es das Ende der Welt!...“
(Die Geschichte von Manon Lescaut und dem Chevalier
Des Grieux
von dem Abbé Prévost.)

DRITTER AKT

LE HAVRE

Ein Platz am Hafen
(Im Hintergrund der Hafen. Eine Kaserne bildet die
Ecke, mit schwer vergitterten Fenstern. Eine große
geschlossene Tür führt auf den Platz. Eine Wache
patrouilliert davor. Im Hafen hinten ist ein Teil eines
Kriegsschiffes zu sehen. Rechts ein Haus und ein Stück
Bürgersteig. In der Ecke eine Laterne. Letzte Stunde der
Nacht. Der Morgen beginnt zu dämmern. Des Grieux zu
Lescaut, auf der Seite gegenüber der Kaserne)


DES GRIEUX
Stets die grausame Angst...

LESCAUT
Nur noch Geduld...
Die Ablösung bringt bald unsern Schützen,
der im Spiel ist...
Also Geduld!...

DES GRIEUX
Mich foltert dieses Warten... Dort verweilet
(zeigt auf die vergitterten Fenster)
meine Seele, mein ganzes Leben!...

LESCAUT
Belehrt ist Manon;
wartend auf mein Zeichen schaut sie her.
Inzwischen wage ich
mit Freunden jenen Streich!
Zur lichten Freiheit führen wir Manon!
(Lescaut hüllt sich bis ans Gesicht in den Mantel ein
und geht zur Beobachtung nach hinten.)

DES GRIEUX
Es ist mein Schicksal, daß ich mich schleppe Tag
und Nacht auf düstern Wegen...
breit’ ich sehnend die Arme nach Glück aus,
ist’s ein Phantom, grinst öde mir entgegen!...
Paris und Havre! Welch traurige Stunden!
Nur Qualen hab’ im Leben ich empfunden!...

LESCAUT (sich Des Grieux nähernd)
(Zeigt auf eine Gruppe Soldaten, die, geführt von
einem Sergeanten, zur Ablösung aus der Kaserne tritt.)

Jetzt hab’ acht!

DES GRIEUX
Man kommt!...

LESCAUT
(betrachtet aufmerksam die Soldaten, auf einen
weisend)
Wo ist mein Mann denn? Der ist es!
(Die Gruppe mit dem Sergeanten tritt in die Kaserne
zurück.)
In tiefem Schlaf liegt Havre!
Die Zeit ist günstig...
(Er nähert sich der Kaserne, wechselt schnell ein
Zeichen mit der Patrouille, die sich spazierend entfernt,
und klopft dann vorsichtig an das Eisengitter. Des
Grieux sieht zitternd zu. Manon erscheint am Fenster
und Des Grieux stürzt zu ihr.)

DES GRIEUX
Manon!...

MANON
Des Grieux!
(streckt die Hände durch das Gitter, welche Des Grieux
inbrünstig küßt.)

LESCAUT (für sich)
Zum Teufel mit Amerika!
Manon braucht nun nicht hin!

MANON
Ah! Du liebst mich! Du liebst mich!
Du hältst zu mir trotz aller Schande?

DES GRIEUX
Ich dich verlassen, mein süßes Leben? Niemals!

MANON
Unfaßbare Liebe! O Liebe!

DES GRIEUX
Wenn ich dir folgte auf dem Schreckenswege...

MANON
Die Liebe!

DES GRIEUX
... tat ich’s, weil fest im Herzen wurzelt Glaub’ und
Liebe!

MANON
Die Liebe!

DES GRIEUX
In Kurzem bist du mein!

MANON
Ich dein... in Kurzem!

DES GRIEUX
(Ein Laternenanzünder kommt von rechts und
überschreitet singend den Platz.)

Schweige! Schweige!

LAMPENANZÜNDER
(geht zur Lampe und zieht sie herunter)
Zur Antwort gab Käthe dem König:
man soll nicht scherzen mit Mädchenherzen.
Nur für die Eh’ schuf mich so reizend der Herr!
(löscht die Lampe)
Lachend schenkt’ ihr der König Schmuck und Gold
und einen Mann, der lieben sie sollt’.
(Langsam entfernt er sich. Der Morgen graut.)

DES GRIEUX
Es dämmert... Nun, Manon, höre...
Sei an dem Tor des Hofes streng zur Zeit!
Dort harrt Lescaut mit anderen, fluchtbereit.
Gelingt es, bist du gerettet!

LAMPENANZÜNDER (von draußen)
Zur Antwort gab Käthe dem König...
Und der König gab ihr Schmuck und Gold...

MANON
Zitternd erbeb’ ich für dich!
Zitternd, und ahne doch kaum um was!...
Ah! Vor meinem Geist erhebt sich ein Bild!
Ich sehe dich blutend und sterbensblaß...

DES GRIEUX
Manon, sieh mich verzweifelt flehen;
die Angst schnürt mir die Kehle, ich bebe...
Willst du meinen Tod?
Ich beschwör’ dich, Manon, entfliehe!
Mach’ ein Ende der Not!
(zeigt nach der Straße rechts)
Komm, ich beschwöre dich, laß uns entfliehn von hier...
Ah, komm, ich beschwöre dich...

MANON
Es sei denn! Erwarte mich, Liebster!
Mit Leib und Seele schwör’ ich’s dir!
(Des Grieux faßt Manons Hände, und, wieder
aufgerichtet, grüßt er sie im Abgehen. Manon wirft
ihm Kußhände zu. Sie tritt vom Fenster zurück. Ein
Schuß von rechts. Von innen hört man Alarmrufe.)

STIMMEN (von innen)
Zu den Waffen! Zu den Waffen!

LESCAUT (kommt mit gezogenem Degen)
Verloren ist das Wagnis!
Retten, Freund, wir unser Leben!

DES GRIEUX
Was geschah!

STIMMEN (von innen)
Zu den Waffen! Zu den Waffen!

LESCAUT
So hör nur ihr Alarmgeschrei!...
Der Streich mißlang uns!

STIMMEN DER FRAUEN
Ah!

DES GRIEUX (den Degen ziehend)
Mag man mich töten!
Jetzt entfliehen, nein, niemals!

LESCAUT (hält Des Grieux zurück)
Ah! Welch ein Narr!...

MANON (erscheint wieder am Fenster, flehend)
Im Namen Gottes, entfliehe! Liebst du mich,
so entfliehe!...
(Sie verschwindet vom Fenster.)

DES GRIEUX
Ah! Manon!

LESCAUT (zieht Des Grieux zurück)
Schlechtes Geschäft!
(Von dem Schuß und den Alarmrufen herbeigelockt,
läuft von allen Seiten Volk herbei.)

VOLK (für sich)
Ah!
Was gab es?
Was gab’s, Entführung und Aufstand?
Gefloh’n ist ein Mädchen!
Was gab es? Was gab’s,
.Gefloh’n ist ein Mädchen!
Die dunkle Nacht hat
die Räuber beschützt!
Noch mehr? –
(Trommelwirbel. Das Tor der Kaserne öffnet sich, der
Sergeant und eine Gruppe Soldaten kommen heraus,
gefangene Frauen eskortierend, darunter einige in
Ketten; Manon ist unter ihnen.)


SERGEANT (tritt vor und fordert die Menge auf)
Den Durchgang gebt frei jetzt!
(Vom Kriegsschiff steigt der Kommandant. Ihm folgt
ein Zug Marine-Soldaten, die sich rechts aufstellen)


KOMMANDANT (zum Sergeanten)
Das Schiff ist klar zur Abfahrt.
Erteilt die Befehle!

VOLK
Seid stille!
Der düstre Appell fängt schon an!
(Aus einer Namensliste beginnt der Sergeant die
Namender Gefangenen einzeln aufzurufen. Die Fruen
wechseln, eine nach der anderen, hinüber zu den

SERGEANT
Rosette!
(geht keck herausfordernd)

VOLK
Ei, der Hochmut!
Kennt die Liebe!

SERGEANT
Madelon!
(geht gleichgültig lachend)

VOLK
Ah! Eine Gefall’ne! Ah, ah! –
Welch albernes Lachen!

SERGEANT
Manon!
(geht langsam, die Augen zu Boden gewandt)

VOLK
Eine Verführte!
Im Ernste, eine Schönheit!

LESCAUT
Die hier? Ein Geheimnis!

MÄNNER
Verführt? Verraten?

VOLK
Wie blickt sie so schmerzvoll! Ah! Ah!
Sehr traurig!

LESCAUT
Das Mädchen wurde der Liebe
eines gutaussehenden Jünglings entrissen.

SERGEANT
Ninetta!
(geht, hochmütig die Menge fixierend)

VOLK
Wie furchtlos!
(Des Grieux tritt aus der Menge vorsichtig zu Manon).

MANON
O Freund. wie bald bin ich weit von hier...

MÄNNER (zu Lescaut)
Abscheu erweckend! Tiefes Mitleid!

SERGEANT
Caton
(schreitet imponierend, ruhig)

VOLK
Eine Göttin!

MANON
So will’s mein traurig’ Schicksal!
Ich muß auf ewig jetzt dich verlassen!
Dich, mein Alles! Leb wohl denn!

LESCAUT
Entführt bei der Hochzeit! Gequält
von erzwungenen Küssen! Geopfert der Lust.

MÄNNER
Mitleid!
Das alte Lied!

SERGEANT
Regina!
(geht geputzt, kokett)

VOLK
Schändlich ist es!
Im Ernste, eine Schönheit!
Welch albernes Lachen.

MANON
Kehre zurück zum väterlichen Hause,
wahre in Treue mein Angedenken!

LESCAUT
... Eines alten Herren!...
Und kalt dann...
verstoßen!

MÄNNER
Abscheu erweckend! Tiefes Mitleid!
Schändlich ist es!

LESCAUT (auf Des Grieux zeigend)
Seht dort, jener bleiche,
junge Mann an ihrer Seite!

SERGEANT
Claretta!
(schreitet sehr munter)

VOLK
Ah! Ah! Eine Blonde!

MANON
Manon mußt du vergessen!

DES GRIEUX
O sieh, wie den Qualen schmerzvoll ich erliege,
die mir der schwere Abschied bereitet,
ein Abschied, der mein Denken löst in Tränen!

MANON
Da ich genug dich nimmer geliebt,
ist, was mir dies Scheiden betrübt.
Doch du verzeihst, was ich tat.
Ein Abbild dieser Liebe ist der trostlose Abschied!

LESCAUT
Das war einst ihr Bräutigam.
Der ist es!

MÄNNER
Schändlich ist es!

VOLK
Welch bunte Versammlung!

SERGEANT
Violetta!
(schreitet frech über den Platz)

VOLK
Die Braune!

MANON
Fleh den Vater an, daß er aufnimmt neu den Sohn!
Leb wohl, Geliebter, wir müssen scheiden.

DES GRIEUX
Ach, meine Seele füllt ein Verlangen ungestillt:
der glüh’nde Haß ist’s, vor Gott und den Menschen,
der mich quält und zehrt!

LESCAUT
In Ketten und Banden. mit Schande beladen,
so fand die entführte Geliebte er wieder.

MÄNNER
Sie weckt wahrlich Mitleid!
Schändlich ist es!
Sie weckt wahrlich Mitleid!
Schändlich ist es!

SERGEANT
Nerina!
Elisa!
(sie den Platz)

VOLK
Die Pflästerchen kleiden!
Keine große Schönheit!
Welch bunte Versammlung!

SERGEANT
Ninon!
(bedeckt ihr Gesicht mit den Händen, als sie geht)

MANON
Mein Geliebter, leb wohl!

SERGEANT
Giorgetta!
(geht hinüber)

VOLK
Abscheu erweckend! Tiefes Mitleid!

SERGEANT (nimmt Aufstellung vor den Frauen)
Eilt euch! Macht Front! Vorwärts. Marsch!...
(Er sieht Manon im Gespräch mit Des Grieux.)
Du noch hier?
Wir müssen dem ein Ende machen.
(Brutal nimmt er ihren Arm und schleudert sie zu den
anderen hinüber)

DES GRIEUX (zieht Manon wieder zu sich)
Laß los sie!

SERGEANT (zu Des Grieux)
Fort!

MÄNNER (von Lescaut aufgehetzt)
Fasse Mut!

DES GRIEUX
Ah, wagt’s, sie zu berühren!
Manon, schmieg’ dich an mich!

MÄNNER
So recht! Bravo!

KOMMANDANT
Was gibt’s?

DES GRIEUX
Ah, kommt mir nicht zu nahe!
So lang’ ich leb’,
soll niemand sie entreißen mir!
(den Kommandanten erblickend wird er von der
Bewegung übermannt, während seine um Manon
geschlungenen Arme sich lösen.)
Nein!... Nein!... Ich bin wohl toll!
(zum Kommandanten)
O seht, Herr, wie ich fleh’ und weine;
laßt die Tränen Euch rühren...
die die Verzweiflung erpresset!
Hört! Wollt mit Euch mich führen, auf’s Schiff
nehmt mich als niedersten Diener...
Laßt mich ein Handwerk lernen!
Das alles macht mich glücklich.
Ach, erbarmt Euch! Nur wollet nicht
von ihr mich entfernen!
Ich erbiet’ mich mit Blut und Leben, habt Mitleid,
erbarmt Euch mein! Ewig werd’ ich dankbar sein!
(Er wirft sich vor dem Kommandanten auf die Knie.)

KOMMANDANT
(bewegt, beugt sich zu Des Grieux hinab, lächelt ihn an
und sagt mit dem barschen Tone eines Seemannes:)
Ah! Wollt Ihr bevölkern Amerika?
Junger Mann, seid Ihr denn unklug?
Doch sei es! Ihr wollt’s!
Vorwärts denn, und beeilt Euch!
(Des Grieux stößt einen Freudenschrei aus, küßt dem
Kommandanten die Hände. Manon wendet sich um,
sieht, versteht was vorging, und auf ihrem Gesicht
strahlt die höchste Wonne. Sie streckt ihre Arme nach
Des Grieux aus, der zu ihr läuft. Lescaut steht seitwärts,
den Kopf schüttelnd.)

VIERTER AKT

IN AMERIKA

Eine unermeßliche Ebene an der fernsten Grenze von
New Orleans

(Der Boden ist gewellt und ganz unfruchtbar. Der
Himmel grau bewölkt. Der Abend dämmert. Manon und
Des Grieux nähern sich langsam vom Hintergrunde her,
ärmlich gekleidet, von leidendem Aussehen. Manon ist
bleich, abgezehrt und stützt sich ermattet auf Des
Grieux, der sie mühsam aufrecht hält.)


DES GRIEUX
Stütze dich fest auf mich!
O meine müde Geliebte!
Wir nähern uns dem Ende der staubbedeckten Straße,
die ich bitter verwünsche.

MANON
Nur vorwärts, nur immer weiter.
Dämmerung fällt schon vom nächtlichen Himmel.

DES GRIEUX
Auf mich stütz’ fest dich!

MANON
Spürst du die kühle Luft auf dieser Ebene?
Der Tag starb entkräftet...
Doch vorwärts! Nur weiter! Nein...
(Sie sinkt um.)

DES GRIEUX
Manon!

MANON
Ich kann nicht! O verzeih mir!
Stark bist du, ich beneid’ dich!
Ein Weib nur bin ich, erliege...

DES GRIEUX
Du leidest?

MANON
Ganz unbeschreiblich!
(Manon müht sich, den Eindruck zu verwischen.)
Nein! was sagt’ ich?...
Das sind zaghafte, tör’ge Worte...
Sei ruhig, Geliebter!
Nur einen Augenblick Rast noch, ein kurzes Weilen
gönne,
o Freund, mir. Drücke fest mich an dich, ganz fest!...

DES GRIEUX
Manon! Hör’ mich, Geliebte...
O gib mir Antwort, mein Alles!
Sieh, ich bin’s, der hier kniend trauert...
Laß meine Klagen mischen sich mit deinen,
laß küssen mich dein schönes goldnes Haar!
Ah, Manon, sieh mich weinen... Du sprichst nicht,
Manon, zu mir? Du schweigst? Beim ew’gen Himmel!
(die Stirn fühlend; für sich)
Grausam tobt das Fieber!
Mich befällt Verzweiflung,
seh’ ich sie ermatten;
voll Sorge ahnt mein Geist schon Todesschatten!
(zu Manon)
O antworte mir, Geliebte!...
Sie schweigt! Manon, gibst du nicht Antwort?...

MANON (kommt langsam zu sich)
Bist du’s, der klagt hier?
Von dir kommt dies Stöhnen?
Ich höre deine Seufzer.
Meine Stirn netzen deine Tränen.
Heiß fühl’ ich sie brennen,
die um mich du geweint.
Meine Geliebter, hilf mir!

DES GRIEUX
Meine Geliebte! Ah Manon!
Ah Manon, meine Geliebte!

MANON
Geliebter, hilf mir! Geliebter! Geliebter! Hilf mir!

DES GRIEUX
O meine Manon!

MANON
Der Durst quält mich, Geliebter, hilf mir, hilf mir!

DES GRIEUX
Ich gäb’ mein Herzblut für dein Leben!
(Er blickt sich nach Wasser um, läuft spähend nach
hinten.)
Da ist nichts, nichts!
Nur dürre Fläche, nicht ein Tröpfchen quillt...
Hartherz’ger Himmel!
O Gott, für diese Kranke heb’ ich flehend die Hände,
betend:
Ihren Leiden sende Labung!

MANON
Hör einen Vorschlag, wie ich zu retten!
Sitzend bleib’ ich zurück; du steig’ höher empor,
erforschst die Ebene, ob irgend
in Bergen oder Hütten du findest Wasser.
Mit strahlender Miene
bring die Erquickung der kranken Geliebten!
(Des Grieux entfernt sich nur zögernd. Im Hintergrunde
angekommen, erwachen neue Zweifel; er blickt
verzweifelt auf Manon, dann, mit schnellem
Entschlusse, eilt er davon.)
Allein nun! Von allen preisgegeben...
in weiter, weiter Ferne!
Kein Mensch, der mich noch hört...
Das Los ist grausam, das mir beschert.
In welche Wüste bin ich verschlagen!
Furchtbare Leiden füllen meine Seele,
fruchtlos verhallt mein Klagen!
Ich will nicht sterben; noch komme nicht, o Tod!
Doch, fänd’ ich hier mein Ende,
ich, eine arme, preisgegeb’ne Frau,
stünd’ am Ziel aller Not.
Man wollt’ schon wieder trennen uns!
Man wollt’ von ihm mich wieder reißen: und alles,
was ich irrte, taucht’ neu auf in bangen Träumen,
bedrohte grausam meinen neuen Frieden!
Mit Blut befleckt’ sich Des Grieux!
Aufs neu mußten wir fliehen!...
Ach, ein Asyl gibt’s jeglichen Friedens: Das Grab nur!
Nein, ich will nicht sterben... Ich will nicht den Tod!
Meiner Liebe, bring mir Hilfe, o Freund!
(Des Grieux stürzt herbei)
Bleib fern mir, o Tod!
Sprich, bringst du günstige Botschaft?

DES GRIEUX
Ach, keine Quelle quoll bei der Hütte,
und nicht ein Tropfen fiel aus Wolken,
wie auch mein Aug’ sich mühte!

MANON
So sterb’ ich; schon fühl’ ich
Finsternis sich senken auf die Augen!

DES GRIEUX (mit unendlicher Hingabe)
Nur des Fiebers Glut füllet mit Bangen die Brust!
Schmieg’ dich an, fasse Mut!
Ins Herz strömt schon zurück dein Blut!

MANON
Ich lieb’ dich und muß sterben...
Schon stockt mir das Wort im Munde
und doch so viel möcht’ ich dir sagen in dieser
Stunde!
Ich liebte dich unsäglich! O Liebe, göttlicher Zauber,
unaussprechliche Wonne, du mein höchstes Begehren...
Ja, ich liebe, die Brust voll Schmerzen...
Und sterbe, dies Wunder im Herzen!...

DES GRIEUX
(betastet Manons Gesicht. für sich, entsetzt)
Kälte des Todes!
Gott, nun schwand die letzte Hoffnung!

MANON
Du weinst, o mein Geliebter.
Nein, keine Tränen.
Nütze die Zeit zum Küssen...
Die Zeit entflieht, still’ dieses Sehnen!

DES GRIEUX
O du einzig süßes Leben,
entflamm’ in mir heilige Wonnen.

MANON
Die Flamme erlischt, ach...
Rede... o sprich doch...

DES GRIEUX
Manon!

MANON
Weh mir!... Ich hör’ kein Wort mehr... Weh mir!
Hierher, noch näher komm; halt dein Gesicht nah...
So recht, so recht... o küss mich... Bleibe mir nah!
Ich kann dich fühlen!
Weh mir!

DES GRIEUX
Stirbst du, bin ich verloren!
Ich folg’ dir nach!...

MANON (mit letzter Kraft, gebieterisch)
Ich will’s nicht! Leb wohl denn!...
Nacht sinkt auf Manon!
Es friert mich!...
War deine Manon nicht liebenswert? Besinn’ dich!
Sag mir’s... an meine glänzende Jugend denke...
Ich seh’ nicht mehr das Licht!...

DES GRIEUX
O Himmel!

MANON
Meine Schuld wird einst vergessen werden...
doch ach, Manons Liebe stirbt niemals!
(Sie stirbt. Des Grieux, vom Schmerz übermannt,
schluchzt und sinkt auf die Leiche Manons nieder.)

ENDE
 

 

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