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Il trittico (Il tabarro, Suor Angelica, Gianni Schicchi)” by Giacomo Puccini libretto (German)

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Contents: Der Mantel; Schwester Angelica; Gianni Schicchi
Schwester Angelica

Personen

Schwester Angelica — Sopran
die Fürstin, ihre Tante — Alt
die Äbtissin — Mezzosopran
die Schwester Eiferin — Mezzosopran
die Lehrmeisterin der Novizinnen — Mezzosopran
Schwester Genovieffa — Sopran
Schwester Osmina — Sopran
Schwester Dolcina — Sopran
die Schwester Pflegerin — Mezzosopran
Zwei Schwestern Almosensucherinnen — Sopran, Sopran
Eine Novizin — Sopran
Zwei Laienschwestern — Sopran, Mezzosopran
Schwester Lucilla, Schwester Ausgeberin, Schwester Schließerin — stumme Rollen
Schwestern, Novizinnen, Laienschwestern, Chor hinter der Bühne von Frauen, Jungen und Männern — Chor

Im Hintergrund jenseits des rechten Bogengangs der Friedhof,
jenseits des linken Bogengangs der Küchengarten. In der Mitte
der Bühne Zypressen, ein Kreuz, Kräuter und Blumen.
Im Hintergrund links zwischen Kalmuspflanzen ein Brunnen, dessen
aufsteigender Wasserstrahl in einen irdenen Trog niederfällt.
Frühlingssonnenuntergang. Ein Sonnenstrahl trifft die Spitze
des Wasserstrahls. Die Bühneist leer.
Die Schwestern sind in der Kirche und singen.

CHOR (hinter der Szene)
Gegrüßet seist du, Maria, du bist voll
Gnaden, der Herr ist mit dir!
(Zwei Laienschwestern, die sich verspätet haben,
überqueren die Bühne; sie halten einen Augenblick ein,
um einem Vogel - zwitschern in den Zypressen zu lauschen,
dann gehen sie in die Kirche.)


Du bist gebenedeit unter den Weibern,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus!
(Schwester Angelica, ebenfalls verspätet,
tritt von rechts auf, geht zur Kirche, öffnet die Tür und
macht die Bußübung, welche die Laienschwestern nicht gemacht
haben: Sie kniet nieder und küßt den Boden,
dann schließt sie die Tür hinter sich.)

Heilige Maria, bitte für uns Sünder.

SCHWESTER ANGELICA (hinter der Szene)
Bitte für uns Sünder,
Jetzt und in der Stunde unseres Todes!

CHOR
... bitte für uns Sünder,
Jetzt und in der Stunde unseres Todes!
Amen.

(Die Nonnen kommen paarweise aus der Kirche.
Die Äbtissin bleibt vor dem Kreuz stehen;
die Nonnen verneigen sich im Vorübergehen grüßend vor ihr.
Die Äbtissin segnet sie und zieht sich zurück, nachdem
alle an ihr vorbeigegangen sind. Die Nonnen
gehen noch nicht auseinander, sondern bleiben zusammen,
indem sie einen Halbkreis aus kleinen Gruppen bilden.
Die Schwester Eifrerin tritt in die Mitte.)


DIE SCHWESTER EIFRERIN
(zu den beiden Laienschwestern)
Schwestern in Demut, Ihr habt die Quindene nicht erfüllt,
ebenso wie Schwester Angelica, die aber volle Buße tat!
Ihr dagegen, Schwestern, sündigtet durch Achtlosigkeit
und habt somit einen Tag der Quindene verloren!
EINE LAIENSCHWESTER
ich klage mich der Schuld an und fordre eine harte Strafe;
Je schwerer sie ist, desto mehr werde ich Euch danken,
Schwester in Demut.
(Sie verharrt in bußfertiger Haltung.)

DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN
(zu den Novizinnen, gleichsam erklärend)
Wer zu spät zum Gottesdienst kommt,
muß sich niederwerfen und den Boden küssen.

DIE SCHWESTER EIFRERIN
(zu den Laienschwestern)
ihr werdet zwanzigmal im Geiste beten
für die Bedrängten und Gefangenen
und die da stehen in der Todsünde.

EINE LAIENSCHWESTER
Mit Freude und mit Inbrunst!

DIE BEIDEN LAIENSCHWESTERN
Herr Jesus Christus,
Bräutigam der Liebe,
ich will nur dir gefallen,
Bräutigam der Liebe,
Jetzt und in der Stunde meines Todes!
Amen.
(Sie ziehen sich zerknirscht nach rechts unter
die Bogengänge zurück.)

DIE SCHWESTER EIFRERIN
(zu Schwester Lucilla, indem sie ihr die Spinnwerkzeuge gibt)
Schwester Lucilla, an die Arbeit.
Zieht Euch zurück. Und haltet Schweigen.
(Schwester Lucilla zieht sich zurück.)

DIE LEHRMEISTERIN
(zu den Novizinnen)
Weil sie heute abend beim Gottesdienst
gelacht und andere dazu verleitet hat.

DIE SCHWESTER EIFRERIN
(zu Schwester Osmina)
Ihr, Schwester Osmina, habt in der Kirche
in den Ärmeln zwei rote Rosen verborgen
gehalten.

SCHWESTER OSMINA
Das ist nicht wahr!

DIE SCHWESTER EIFRERIN
Schwester, geht in Eure Zelle!
(Schwester Osmina zuckt die Achseln.)
Zögert nicht! Die heilige Jungfrau sieht Euch!
(Schwester Osmina geht ab; aller Blicke folgen
ihr unter den Arkaden nach, bis sie in ihrer
Zelle verschwunden ist.)


SECHS SCHWESTERN
Königin der Jungfrauen, bitte für sie!
(Schwester Osmina wirft die Tür ihrer Zelle
hinter sich zu.)

DIE SCHWESTER EIFRERIN
Und jetzt, Schwestern in Freude,
da es dem Herrn gefällt,
und um freudiger zurückzukehren
zur Arbeit um seiner Liebe willen,
ruht Euch aus!

DIE SCHWESTERN
Amen!
(Die weißen Gestalten der Schwestern zerstreuen sich im
Klosterhof und unter denArkaden. Schwester Angelica hackt
den Boden auf und begießt die Kräuter und Blumen.)


SCHWESTER GENOVIEFFA
O Schwestern, Schwestern, ich will Euch erzählen,
daß ein Sonnenstrahl in die Klausur einfiel!
Seht, wo er niederfällt, dort durch das grüne Laub!
Die Sonne ruht auf dem Kalmus!
Damit beginnen die drei Abende des goldenen Brunnens!

DIE SCHWESTERN
O ja, nun wird sich gleich das Wasser vergolden!

EINE SCHWESTER
Und noch für zwei Abende mehr!
DIE SCHWESTERN
Der Mai ist da! Der Mai ist da!
Es ist das Lächeln unserer lieben Frau,
das in diesem Strahl zu uns kommt.
Königin der Milde, Dank, Dank!

EINE NOVIZIN
Meisterin, ich bitte Euch um Erlaubnis zu reden.

DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN
Immer, wenn man loben will, was heilig und
schön ist.

DIE NOVIZIN
Was für eine Gnade der Jungfrau erfreut die Schwestern?

DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN
Ein leuchtendes Zeichen der Güte Gottes!
Nur für drei Abende im Jahr, nach dem Gottesdienst,
gewahrt uns Gott, die Sonne zu sehen,
die auf den Brunnen scheint und ihn vergoldet.

DIE NOVIZIN
Und an den anderen Abenden?

DIE LEHRMEISTERIN DER NOVIZINNEN
Entweder kommen wir zu früh heraus, und die Sonne steht hoch,
oder zu spät, und die Sonne ist untergegangen.
DIE SCHWESTERN
Ein Jahr ist vergangen!
Vergangen ist wieder ein Jahr!
Und eine Schwester fehlt.
(Eine schmerzliche Stille herrscht im Klosterhof;
die Schwestern sind in stummes Gebet versunken und scheinen
das Bild der gestorbenen Schwester vor ihrem geistigen
Auge heraufzubeschwören.)


SCHWESTER GENOVIEFFA
O Schwestern in frommer Arbeit,
wenn der Wasserstrahl erblüht,
wenn der Wasserstrahl sich vergoldet,
sollten wir da nicht
einen Eimer goldenen Wassers
zum Grab der Bianca Rosa tragen?

DIE SCHWESTERN
Ja, die Schwester, die dort ruht,
wird sich das sicher wünschen.

SCHWESTER ANGELICA
Wünsche sind die Blumen der Lebenden,
sie blühen nicht im Reich der Toten,
denn die jungfräuliche Mutter wacht
und kommt in ihrer Güte
freigebig dem Wunsch zuvor;
bevor ein Wunsch erblühen kann,
hat die Mutter der Mütter ihn erhört.
O Schwester, der Tod ist ein schöneres Leben!
DIE SCHWESTER EIFRERIN
Wir dürfen selbst im Leben keine Wünsche
haben.

SCHWESTER GENOVIEFFA
Wenn sie harmlos und rein sind, warum nicht?
Habt Ihr keinen Wunsch?

DIE SCHWESTER EIFRERIN
Ich nicht!

EINE SCHWESTER
Ich auch nicht!

EINE ANDERE SCHWESTER
Ich nicht!

EINE NOVIZIN
Ich nicht!

SCHWESTER GENOVIEFFA
Ich schon, ich bekenne es!
(Den Blick nach oben wendend.)
Gütiger Heiland,
du weißt, daß ich früher
in der Welt eine Hirtin war.
Seit fünf Jahren habe ich kein Lämmlein gesehen;
Herr, erzürne ich dich,
wenn ich den Wunsch ausspreche,
ein kleines Lamm zu sehen,
es zu liebkosen,
seine kühle Nase zu berühren
und es blöken ZU hören?
Wenn das strafbar ist, bete ich dir
ein Miserere mei.
Vergib mir, Herr,
der du selbst das Lamm Gottes bist!

SCHWESTER DOLCINA
Ich habe auch einen Wunsch!

DIE SCHWESTERN
Schwester, wir kenne Eure Wünsche!
Etwas Gutes zu essen!
Saftiges Obst!
Gefräßigkeit ist eine schwere Sünde!
Sie ist gefräßig! Sie ist gefräßig!
(Schwester Dolcina ist zutiefst beschämt und sprachlos.)

SCHWESTER GENOVIEFFA
(die sich zusammen mit einigen anderen
Nonnen Schwester Angelica genähert hat)

Schwester Angelica, und Ihr? Habt Ihr Wünsche?

SCHWESTER ANGELICA
(sich zu ihnen wendend)
Ich? Nein, Schwester, nein.
(Sie wendet sich wieder den Blumen zu. Die
Schwestern bilden auf der gegenüberliegenden
Seite eine Gruppe und flüstern.)

DIE SCHWESTERN
Christus verzeihe ihr, sie sprach eine Lüge!
Sie sprach eine Lüge!

EINE NOVIZIN
Warum?

DIE SCHWESTERN
Wir wissen es, sie hat einen großen Wunsch!
Sie möchte Nachricht von ihrer Familie haben.
Seit mehr als sieben Jahren, so lange sie im
Kloster ist,
hat sie keine Neuigkeiten erfahren.
Sie scheint ergeben, aber es quält sie sehr.

(sich immer mehr von Schwester Angelica entfernend)
Draußen in der Welt war sie reich, sagt die Äbtissin.
Sie war von Adel! Von Adel!
Von Adel! Eine Fürstin!
Man hat sie offenbar als Strafe zur Nonne gemacht.
Warum wohl? Warum wohl?
Wer weiß! Ja, Ja ...
(zerstreuen sich)

DIE SCHWESTER PFLEGERIN
(eilig herbeilaufend)
Schwester Angelica, hört!
SCHWESTER ANGELICA
Schwester Pflegerin, was ist geschehen,
sprecht!

DIE SCHWESTER PFLEGERIN
Schwester Chiara hat dort im Garten
die Rosenbüsche beschnitten;
plötzlich flogen viele Wespen daraus hervor
und stachen sie hier ins Gesicht!
Jetzt ist sie in ihrer Zelle und Jammert.
Ach, lindert, Schwester, den Schmerz, der sie quält!

DIE SCHWESTERN
Die Arme! Die Arme!

SCHWESTER ANGELICA
Wartet, hier habe ich ein Kraut und eine Blume.
(sucht zwischen den Kräutern und Blumen)

DIE SCHWESTER PFLEGERIN
Schwester Angelica hat immer ein gutes Mittel,
aus Blumen bereitet;
sie weiß ein segensreiches Kraut zu finden,
um Schmerzen zu lindern.
SCHWESTER ANGELICA
(zur Schwester Pflegerin, ihr ein Kraut gebend)
Hier, das sind Ringelblumen;
Mit dem Saft, der daraus quillt,
benetzt Ihr das Geschwulst;
(gibt ihr ein anderes Kraut)
und aus diesem macht einen Trank.
Sagt Schwester Chiara, daß er sehr bitter ist,
aber daß er ihr gut tut.
Und sagt ihr auch, daß Wespenstiche
nur wenig Schmerz verursachen,
und daß sie nicht klagen soll,
da das Klagen die Qualen verschlimmert.

DIE SCHWESTER PFLEGERIN
Ich werde es ihr sagen.
Dank, Schwester, Dank!

SCHWESTER ANGELICA
Ich bin hier, um zu dienen.
(Aus dem Hintergrund links kommen zwei Schwestern
Almosensucherinnen, einen beladenen Esel führend.)


SCHWESTERN ALMOSENSUCHERINNEN
Gelobt sei Maria!

DIE SCHWESTERN
In Ewigkeit, Amen!
(Die Schwestern umringen den Esel, während
die Almosensucherinnen die Almosen abladen
und sie der Schwester Ausgeberin übergeben.)

DIE SCHWESTERN ALMOSENSUCHERINNEN
Ein guter Ertrag heute abend, Schwester Ausgeberin!

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Ein Schlauch Öl.

SCHWESTER DOLCINA
Oh, gut!

ZWEITE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Haselnüsse - sechs Ketten.

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Ein kleiner Korb Walnüsse.

SCHWESTER DOLCINA
Schmeckt gut mit Salz und Brot!

DIE SCHWESTER EIFRERIN (vorwurfsvoll)
Schwester!

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Hier ist Mehl.
Und hier ein kleiner Käsebeutel, aus dem
noch Milch sickert, lecker wie ein Kuchen;
und ein Beutel Linsen,
Eier, Butter, das ist alles.

DIE SCHWESTERN
Ein guter Ertrag heute abend, Schwester Ausgeberin!
(Die zweite Almosensucherin führt den Esel weg.)

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
(zu Schwester Dolcina)
Für Euch, Schwester Naschmaul!

SCHWESTER DOLCINA
Ein Reis rote Johannisbeeren!
Nehmt davon, Schwestern!

DIE SCHWESTERN
Danke, danke!

EINE SCHWESTER
Ach! Wenn ich eine nähme, wäre das ein Martyrium für sie!

SCHWESTER DOLCINA
Nein, nehmt nur!

DIE SCHWESTERN
Danke, danke!
(Sie bilden eine kleine Gruppe rechts und
essen unter verstohlenem Kichern die Johannisbeeren.)


ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Wer ist heute abend ins Sprechzimmer gekommen?

DIE SCHWESTERN
Niemand, niemand. Warum?
ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Draußen vor dem Tor steht eine prächtige
Kutsche.

SCHWESTER ANGELICA
(zur Schwester Almosensucherin, wie von
einer plötzlichen Unruhe ergriffen)

Was sagt Ihr da, Schwester?
Eine Kutsche draußen?
Prächtig? Prächtig? Prächtig?

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Hochherrschaftlich!
Sie wartet sicher auf Jemand, der ins
Kloster gekommen ist,
und sicher wird bald
die Glocke des Sprechzimmers läuten.

SCHWESTER ANGELICA
Ach, sagt mir doch, Schwester, wie sieht die Kutsche aus?
Hat sie ein Wappen, ein Wappen aus Elfenbein?
Und innen gepolstert mit türkischblauer
Seide, bestickt mit Silber?

ERSTE SCHWESTER ALMOSENSUCHERIN
Ich weiß nicht, Schwester, ich weiß nicht;
ich sah nur eine schöne Kutsche!
DIE SCHWESTERN
(Schwester Angelica neugierig beobachtend)
Sie ist blaß geworden.
Und Jetzt ganz rot!
Die Arme! Sie ist bewegt!
Sie ist bewegt! Die Arme!
Sie hofft, es sei wer von ihrer Familie!
(Eine Glocke läutet. Die Schwestern eilen von
allen Seiten herbei.)

Jemand kommt ins Sprechzimmer!
Ein Besuch kommt!
Für wen? Für wen? Für wen?
Für wen mag es sein?

EINE SCHWESTER
Hoffentlich für mich!
Hoffentlich meine Base,
die mir duftenden Lavendelsamen bringt.

EINE ANDERE SCHWESTER
Für mich! Hoffentlich meine Mutter,
die uns kleine weiße Turteltäubchen bringt.
(Schwester Genovieffa tritt zu ihren Gefährtinnen,
mit einer mitleidsvollen Geste auf Schwester Angelica weisend.)


SCHWESTER ANGELICA
(die Augen zum Himmel erhebend)
O erwählte Mutter, lies in meinem Herzen!
Gib dem Heiland um meinetwillen ein Lächeln!
SCHWESTER GENOVIEFFA
(zu Schwester Angelica)
O Schwester in Liebe,
wir beten zum Stern der Sterne,
daß der Besuch für Euch sei.

SCHWESTER ANGELICA
Liebe Schwester, danke, danke!
(Die Äbtissin tritt auf.)

DIE ÄBTISSIN
Schwester Angelica!
(Sie macht den Schwestern ein Zeichen, sich zurückzuziehen;
diese gehen ab, bemerken dabei, daß der Brunnen in Sonnenlicht
sich vergoldet hat, schöpfen einen kleinen Eimer Wasser daraus,
begeben sich damit zum Friedhof und verschwinden.)


SCHWESTER ANGELICA
Mutter, Mutter, redet! Wer ist es? Wer ist es?
Mutter, redet! Seit sieben Jahren warte ich,
warte ich auf ein Wort, ein Schreiben!
Alles habe ich der Jungfrau geopfert in
voller Sühne!

DIE ÄBTISSIN
Opfert ihr noch die Erregung, die Euch verstört.
(Schwester Angelica, gebrochen, sinkt langsam
in die Knie und sammelt sich.)

DIE SCHWESTERN (vom Friedhof)
Ewige Ruhe schenke ihr, Herr;
und das ewige Licht leuchte ihr.
Möge sie in Frieden ruhen.
Amen. Amen.

SCHWESTER ANGELICA
Mutter, nun bin ich ruhig und ergeben.
DIE ÄBTISSIN
Es kam, um Euch zu sehen, Eure Muhme,
die Fürstin.

SCHWESTER ANGELICA
Ah!

DIE ÄBTISSIN
Im Sprechzimmer sagt man nur, was Gehorsam
und Notwendigkeit verlangen.
Jedes Wort hört die fromme Jungfrau.

SCHWESTER ANGELICA
Die Jungfrau soll mich hören. Amen.
(Die Äbtissin begibt sich zur kleinen Tür ins
Sprechzimmer. Schwester Angelica erhebt sich
und geht auf den Eingang des Sprechzimmers
unter dem Bogengang zu. Die kleine Tür wird
von innen von der Schwester Schließerin
geöffnet, die neben dem Eingang stehen bleibt.
Zwischen der Äbtissin und der Schwester
Schließerin schreitet eine schwarze Gestalt
hervor, von ernster, strenger Haltung und mit
natürlichem Gebaren von aristokratischer

Würde: die Fürstin, Angelicas Tante. Sie tritt ein
und geht langsam vorwärts, auf einen kleinen
Ebenholzstock gestützt. Sie bleibt stehen und
wirft einen kurzen Blick auf ihre Nichte, kalt
und ohne ein Gefühl zu verraten. Schwester
Angelica wird beim Anblick ihrer Tante von
einer tiefen Erregung befallen, beherrscht sich
aber, da im Schatten noch die Äbtissin und die
Schwester Schließerin sichtbar sind. Die Bühne
öffnet sich zum Sprechzimmer hin, und die
kleine Tür schließt sich vor den beiden
Nonnen. Schwester Angelica, tief bewegt, fast
schwankend, geht auf ihr Tante zu, aber die
alte Frau streckt ihre linke Hand aus, wie um
nur einen demütigen Handkuß zu erlauben.
Schwester Angelica nimmt die Hand, die ihr
geboten wird, führt sie an die Lippen und
kniet vor der Tante nieder, die sich hinsetzt.
Schwester Angelicas Blick ist ständig auf die
Augen der Fürstin gerichtet, mit
schmerzlichem flehendem Ausdruck; die Alte
blickt hartnäckig vor sich hin.)


DIE FÜRSTIN MUHME
Fürst Gualtiero, Euer Vater,
und Fürstin Clara, Eure Mutter,
die vor nunmehr zwanzig Jahren aus dem Leben schieden,
(Sie unterbricht sich, um sich zu bekreuzigen.)
vertrauten mir ihre Kinder und das gesamte Vermögen
der Familie an.
Ich sollte es, wenn ich es für angebracht hielt,
gerecht verteilen.
Und das habe ich getan.
Hier ist die Urkunde. Ihr könnt sie studieren,
sie besprechen, sie unterzeichnen.

SCHWESTER ANGELICA
Zum erstenmal seit sieben Jahren stehe ich vor Euch.
Laßt diesen heiligen Ort auf Euch wirken.
Es ist ein Ort der Milde, ein Ort des Mitleids ...

DIE FÜRSTIN MUHME
... der Reue.
Ich muß Euch den Grund nennen,
warum es zu dieser Teilung kam.
Eure Schwester Anna Viola wird heiraten.

SCHWESTER ANGELICA
Heiraten! Heiraten, die kleine Anna Viola?
Das Schwesterchen, die Kleine?
Ach Ja, es ist sieben Jahre her!
Sieben Jahre sind vergangen! Ach!
O kleine blonde Schwester, die sich
verheiraten wird,
o meine kleine Schwester, sei glücklich!
Und wer nimmt sie zur Frau?

DIE FÜRSTIN MUHME
Der um der Liebe willen die Schuld vergab,
mit der ihr unser reines Wappen beflecktet!
SCHWESTER ANGELICA
Schwester meiner Mutter, ihr seid unerbittlich!

DIE FÜRSTIN MUHME
Was sagt ihr? Was meint ihr?
Unerbittlich? Unerbittlich?
Eure Mutter ruft ihr gegen mich an?
Gegen mich!
Eure Mutter ruft ihr gegen mich an?
Oft gehe ich abends dort in unsere Kapelle,
um mich zu sammeln.
im Schweigen dieser Sammlung
scheint mein Geist zu entschweben
und sich mit dem Eurer Mutter zu treffen
zu ätherischem, erhabenem Gespräch.
Wie schmerzvoll, wie schmerzvoll ist es,
die Toten klagen und weinen zu hören!
Wenn die mystische Verzückung vorübergeht,
habe ich für Euch nur ein Wort bewahrt:
Sühne! Sühne!
Opfert Euch nun der Jungfrau nach meinem Urteil.

SCHWESTER ANGELICA
Alles habe ich der Jungfrau geopfert, Ja,
alles!
Aber ein Opfer kann ich nicht bringen;
Der sanften Mutter der Mütter
kann ich niemals den Gedanken an meinen
Sohn opfern!
Meinen Sohn! Meinen Sohn, meinen eigenen Sohn!
Mein Sohn!
Das kleine Wesen, das man mir entrissen hat!
Mein Sohn, den ich nur ein einziges Mal sah und küßte!
Mein Kind, mein fernes Kind!
Das ist das Wort, das ich seit sieben Jahren erflehe!
Erzählt mir von ihm!
Von meinem Sohn!
Erzählt mir von ihm!
Wie geht es meinem Sohn?
Wie sieht sein süßes Gesicht aus?
Wie seine Augen?
Erzählt mir von ihm!
(Die Alte schweigt.)
Warum schweigt Ihr?
Warum? Warum?
Noch einen Augenblick dieses Schweigens
und Ihr verdammt Euch selbst auf ewig!
Die Jungfrau hört uns, sie wird Euch richten!

DIE FÜRSTIN MUHME
Vor zwei Jahren befiel ihn eine schwere Krankheit.
Alles wurde getan, um Ihn ZU retten ...
SCHWESTER ANGELICA
Ist er tot?
(Die Muhme neigt den Kopf und schweigt.)
Ah!
(Schwester Angelica fällt zu Boden. Die Muhme
erhebt sich, wie um ihr zu helfen, da sie sie in
Ohnmacht glaubt, aber als sie Schwester
Angelica schluchzen hört, hält sie ein. Sie geht
auf ein Heiligenbild an der Wand zu und betet
schweigend, beide Hände auf dem Stock
gefaltet, den Kopf gesenkt. Im Sprechzimmer
herrscht bereits das Halbdunkel der
Abenddämmerung. Die Schwester Schließerin
tritt mit einer Öllampe ein, die sie auf dem Tisch
abstellt. Die Muhme dreht sich um und spricht
leise mit der Schwester, die daraufhin
hinausgeht und mit der Äbtissin zurückkehrt, ein
Tablett mit Tinte und Feder tragend. Schwester
Angelica hört die beiden Nonnen eintreten,
erhebt sich, dreht sich um und schleppt sich
schweigend zum Tisch, wo sie die Urkunde
unterschreibt. Die beiden Nonnen gehen hinaus.
Die Fürstin Muhme nimmt die Urkunde, geht auf
Schwester Angelica zu, die ihr aber bedeutet,
sich zurückzuziehen. Die Muhme geht daraufhin
auf die Tür zu und klopft mit dem Stock. Die
Schwester Schließerin öffnet, tritt ein, nimmt die
Lampe und geht voraus, die Fürstin folgt ihr; auf
der Schwelle dreht sie sich noch einmal nach
ihrer Nichte um, dann geht sie hinaus und
verschwindet; die Schwester Schließerin schließt
wieder die Tür. Es ist Abend, die Szene verwandelt sich
wieder. Auf dem Friedhof sind die Schwestern
dabei, die Lichter auf den Gräbern anzuzünden.)

Ohne Mutter, Kind, bist du gestorben!
Deine Lippen, ohne meine Küsse,
erblaßten, wurden kalt, kalt!
Du schlossest, Kind, die schönen Augen!
Du konntest mich nicht liebkosen
und faltetest deine Händchen zum Kreuz!
Und du starbst, ohne zu erfahren,
wie sehr deine Mutter dich liebte.
Nun bist du ein Engel des Himmels,
nun kannst du sie sehen, deine Mutter.
Du kannst herniedersteigen vom Firmament,
und ich fühle dich mich umschweben -
Du bist hier, du bist hier, du küßt und liebkost mich!
Ach, sag mir, wann ich dich im Himmel sehen darf?
Wann darf ich dich küssen?
O süßes Ende aller meiner Schmerzen!
Wann darf ich mit dir zum Himmel aufsteigen?
Wann darf ich sterben?
Wann darf ich sterben, wann sterben?
Sag es deiner Mutter, du schönes Wesen,
mit dem leichten Glitzern eines Sterns!
Sprich zu mir, sprich zu mir, mein Liebling,
mein Liebling, mein Liebling!
(Die Schwestern kommen vom Friedhof zurück,
nähern sich Schwester Angelica und umringen sie.)

SCHWESTER GENOVIEFFA
Schwester, liebe Schwester,
die Jungfrau hat das Gebet erhört!

DIE SCHWESTERN
Jetzt müßt Ihr zufrieden sein, Schwester,
die Jungfrau erwies Euch eine Gnade!

SCHWESTER ANGELICA
Die Gnade stieg hernieder vom Himmel,
schon hat sie mich entzündet,
sie leuchtet, sie leuchtet!
Schon sehe ich das Ziel, Schwestern!

DIE SCHWESTERN
Amen!

SCHWESTER ANGELICA
Schwestern, ich bin glücklich, glücklich!
Laßt uns singen!
Jetzt singen sie im Himmel!
Preist die heilige Jungfrau!

DIE SCHWESTERN
Laßt uns singen! Jetzt singen sie im Himmel!
Amen!
(Aus dem Hintergrund hört man das Zeichen der Holzklapper.
Die Schwestern begeben sich zu ihren Zellen, öffnen die Türen,
gehen hinein und schließen sie wieder.)

Preist die heilige Jungfrau!
Preist die heilige Jungfrau!
SCHWESTER ANGELICA
Ah, preist sie!

DIE SCHWESTERN
Amen!

SCHWESTER ANGELICA (in ihrer Zelle)
Die Gnade stieg hernieder vom Himmel!
(Es ist Nacht. Man sieht die Sterne über der
Kirche und den Mond über den Zypressen.
Schwester Angelica tritt aus ihrer Zelle, eine
irdene Schüssel in den Händen. Sie setzt die
Schüssel ab, nimmt Steine auf und baut
daraus einen kleinen Herd, dann sammelt sie
Zweige und macht daraus ein Bündel, das sie
unter den Herd legt. Darauf geht sie zum
Brunnen und füllt die Schüssel mit Wasser,
zündet mit dem Feuerstahl das Herdfeuer an
und stellt die Schüssel zum Kochen darüber.
Zum Schluß sammelt sie verschiedene
Kräuter und Blumen ein.)

Schwester Angelica hat immer ein gutes Mittel,
aus Blumen bereitet.
Ihr freundlichen Blumen, die ihr im kleinen Herzen
die Tropfen des Giftes verschlossen haltet!
Ah, mit welcher Pflege ich euch bedachte!
Nun dankt ihr es mir.
Durch euch, meine Blumen, werde ich sterben.
(wendet sich den Zellen zu)
Lebt wohl, liebe Schwestern, lebt wohl, lebt wohl!
Ich verlasse euch für immer.
Mein Sohn hat mich gerufen!
Im Licht eines Sternes
erschien mir sein Lächeln;
er sagte: Mutter, komm ins Paradies!
Lebt wohl! Lebt wohl!
Leb wohl, kleine Kirche! So oft habe ich in dir gebetet.
Mild nahmst du meine Gebete und Tränen auf.
Herabgesenkt hat sich die selige Gnade!
ich sterbe für ihn, und im Himmel sehe ich ihn wieder.
Ah!
(Sie umfaßt das Kreuz, küßt es, beugt sich nieder,
ergreift die Schüssel und trinkt das Gift; dann lehnt sie
sich an eine Zypresse und läßt die Schüssel zu Boden fallen.
Die Wolken verdecken den Mond, die Bühne verdunkelt sich.
Die vollbrachte Tat des Selbstmords bringt
Schwester Angelica zur Wirklichkeit zurück.)

Ah, ich bin verdammt!
ich habe mir selbst den Tod gegeben!
ich sterbe in der Todsünde!
(wirft sich verzweifelt auf die Knie)
O Madonna, Madonna, rette mich, rette mich!
Meinem Sohn zuliebe rette mich!

CHOR (hinter der Szene, entfernt)
Königin der Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria!

SCHWESTER ANGELICA
ich war nicht bei Verstand!
CHOR
Keusche Mutter, sei gegrüßt, Maria!

SCHWESTER ANGELICA
Laß mich nicht in Verdammnis sterben!

CHOR
Königin des Friedens, sei gegrüßt, Maria!

SCHWESTER ANGELICA
Gib mir ein Zeichen der Gnade,
gib mir ein Zeichen der Gnade!
Madonna! Madonna! Rette mich! Rette mich!
(Das Wunder beginnt. Die Kirche scheint von
Licht erfüllt; die Tür öffnet sich langsam, und
man sieht das Innere von Engeln angefüllt.)


CHOR
O Glorreiche unter den Jungfrauen,
hoch erhaben unter den Sternen!
Die du den Knaben gebarst
und ihn an deiner Brust saugtest!

SCHWESTER ANGELICA
0 Madonna, rette mich!
Eine Mutter bittet, eine Mutter fleht dich an!
O Madonna, rette mich!

CHOR
Was Eva traurig verlor,
gabst du durch die Frucht deines Leibes zurück;
auf daß die Schwachen ZU den Sternen aufsteigen,
öffnest du die Tore des Himmels!
Du Glorreiche unter den Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria!
(Auf der Schwelle erscheint die Königin des Trostes,
vor ihr ein kleiner blonder Knabe, ganz in Weiß.
Die Jungfrau sendet das Kind zu der Sterbenden.)


SCHWESTER ANGELICA
Ah!

CHOR
Du Königin der Jungfrauen!

SCHWESTER ANGELICA
Ah!

CHOR
Du getreue Jungfrau, sei gegrüßt, Maria!
Du Glorreiche unter den Jungfrauen, sei gegrüßt, Maria!
(Der Knabe tut den ersten Schritt.)
Du reinste Mutter, sei gegrüßt, Maria!
(Die Knabe tut den zweiten Schritt.)
Du starker Turm Davids, sei gegrüßt, Maria!
(Der Knabe tut den dritten Schritt. Schwester
Angelica sinkt sanft zurück und stirbt. Die
wundersame Erscheinung leuchtet.)


Ende der Oper

libretto by Gerd Uekermann 
Contents: Der Mantel; Schwester Angelica; Gianni Schicchi

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