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Carmen” by Georges Bizet libretto (German)

 Print-frendly
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt
Der Abdruck des deutschen Librettos erfolgt mit der
freundlichen Genehmigung des Bärenreiter-Verlages, Kassel.


ERSTER AKT

Einleitung

Nr. 1 Szene und Chor

Ein Platz in Sevilla
(Rechts der Eingang zur Tabakfabrik. Hinten,
gegenüber dem Publikum eine Brücke, die von
einer Seite der Bühne zur anderen reicht und auf
die man von der Bühne aus über eine hinter dem
Fabrikeingang befindlichen Wendeltreppe gelangt.
Unten ist die Brücke offen. Vorne ist ein Wachlokal;
davor führen drei Stufen zu einem überdeckten
Gang. Wenn der Vorhang sich hebt, steht eine
Gruppe von Soldaten (Dragoner von Almanza) vor
der Wache. Sie rauchen und beobachten die
Passanten. Lebhaftes Kommen und Gehen über
den Platz. Die Szene ist voller Bewegung.)


CHOR DER DRAGONER
Diese Menge,
im Gedränge!
Wie das kommt, geht und bleibt!
Seltsames Volk umher sich treibt.

MORALÈS
Müßig hier vor der Wache Halle,
daß die Zeit geht hin,
man raucht und schwatzt und mustert alle,
die vorüberziehen.

SOLDATEN und MORALÈS
Diese Menge, im Gedränge! usw.
(Micaëla tritt auf.)


MORALÈS
Doch seht, da kommt mit bangem Zagen
ein Mädchen zu uns, irr ich nicht; sie blickt
umher, scheint zu zögern und zu fragen.

SOLDATEN
Ihr beizustehen ist unsre Pflicht!

MORALÈS (zu Micaëla)
Was suchst du, hübsche Kleine?

MICAËLA
Ich? ich such einen Sergeant!

MORALÈS
Einen Sergeant? Das bin ich!

MICAËLA
Nein, Ihr seid der nicht, den ich meine,
Don José - so wird er genannt.

MORALÈS
Don José? Er ist uns wohl bekannt.

MICAËLA
Ach ja? So find ich ihn hier? Sie verzeihen!

MORALÈS
Sergeant ist er, doch leider nicht in unsern Reihen.

MICAËLA (enttäuscht)
Nicht hier! Ich dachte ja.

MORALÈS
Nein, holdes Mädchen, er ist nicht da, doch warte
hier und sei nicht bang, er kommt hierher, 's dauert nicht lang.
Er kommt hierher, wenn wir die Runde machen
und werden abgelöst durch neue Wachen.

SOLDATEN und MORALES
Er kommt hierher, usw.

MORALÈS
Willst du denn hier draußen bleiben,
liebes Kind, ich lad' dich ein,
lange Weile zu vertreiben,
komm unterdess zu uns herein.

MICAËLA
Zu Euch?

SOLDATEN und MORALÈS
Zu uns!

MICAËLA
Nein, nein, nein, nein,
ihr Herrn Soldaten, das kann nicht sein.

MORALÈS
Komm herein nur ohne Bangen,
ich verspreche dir bestimmt,
freundlich wirst du hier empfangen,
in allen Ehren, wie sich's ziemt.

MICAËLA
Ich weiß wohl zu schätzen diese Ehr, doch meine ich,
's wird besser sein, ich komme hierher wieder zurück,
wenn Sie die Runde machen
und werden abgelöst durch neue Wachen.

SOLDATEN und MORALÈS
Bleibe doch hier, bis wir die Runde machen
und werden abgelöst durch neue Wachen.

MORALÈS
Bleibe doch da!

MICAËLA
Nein, nein, nein, nein, das kann nicht sein!

SOLDATEN und MORALÈS (umringen Micaëla)
Bleibe doch da!

MICAËLA
Auf Wiedersehen, ihr Herrn Soldaten,
das kann nicht sein!
(Sie entkommt und läuft davon.)

MORALÈS
Seht hin sie eilen;
wir müssen weilen.
Freunde, kommt, laßt uns wieder sehn
nach Leuten, die vorübergehen.

CHOR
Diese Menge,
im Gedränge, usw.

Nr. 2 Chor der Straßenjungen

(In der Ferne hört man einen Militärmarsch mit
Trompeten und Pfeifen. Die ablösende Wache naht,
und ein Offizier kommt aus dem Wachlokal. Die
Soldaten nehmen ihre Musketen und treten vor der
Wache an. Passanten versammeln sich in einer
Gruppe, um die Parade zu beobachten. Der
Militärmarsch kommt immer näher. Schließlich
erscheint die ablösende Wache und marschiert
über die Brücke. Zuerst zwei Trompeter und zwei
Pfeifer. Diesen folgt eine Horde kleiner
Gassenjungen. Nach den Kindern Leutnant Zuniga
und Unteroffizier Don José, dann die Dragoner.)


KINDERCHOR
Schnell herbeigestürmt wie's Wetter,
kommen die Soldaten ja,
hört der Trompete Geschmetter,
Trateratatatatata!
Wenn die Wachen aufmarschieren,
gehen wir wie Soldaten mit,
laßt uns voran defilieren.
Eins! Zwei! im gleichen Schritt,
Brust heraus, den Kopf nach oben,
und die Arme ziehet an;
Rasch! nun die Füße gehoben,
so marschieren wir Mann für Mann!
Wir sind da! usw.
(Die ablösende Wache bleibt gegenüber der
abziehenden Wache stehen. Die Offiziere salutieren
mit ihren Degen und beginnen, leise miteinander
zu sprechen. Die Wache wird abgelöst.)


MORALÈS (zu Don José)
Eben war ein

bildhübsches Mädchen bei uns hier
auf dem Platz und hat nach dir gefragt.
Blaues Kleidchen und blonde Zöpfe.

JOSÉ (Reprise)
Das war sie, Micaëla!
(Die alte Wache zieht vor der neuen vorbei. Die
Gassenjungen nehmen wieder ihren Platz hinter
den Trompetern und Pfeifern ein.)


KINDERCHOR (Reprise)
Schnell herbeigestürmt wie's Wetter,
's gehen die Soldaten ja,
hört der Trompete Geschmetter:
Trateratatata!
Wenn die Wachen abmarschieren,
gehen wir wie Soldaten mit, usw.
(Die Soldaten, Gassenjungen und Neugierige
verschwinden im Hintergrund. Der Klang des
Chores, der Pfeifen und Trompeten wird schwächer.
Inzwischen inspiziert der Kommandant der neuen
Wache schweigend seine Männer. Wenn der Chor
der Gassenjungen nicht mehr zu hören ist, gehen
die Soldaten in das Wachlokal. Don José und
Zuniga bleiben allein zurück.)


Rezitativ

ZUNIGA
Ist nicht dort die Fabrik
unsrer köstlichen Zigaretten,
die so viele Mädchen beschäftigt?

JOSÉ
So ist's, mein Offizier!

doch glaubet sicher mir, nirgends findet Ihr mehr
so flatterhafte Mädchen!

ZUNIGA
Mag's drum sein, wenn sie nur schön sind!

JOSÉ
Ach, davon weiß ich wahrlich nichts,
denn wenig kümmert mich wohl diese Gattung Mädchen!

ZUNIGA
Was dich bekümmert, Freund,
ich weiß es wohl!
's ist ein junges, liebliches Mädchen,
Micaëla, so nennt sie sich;
blaues Kleidchen, und blonde Zöpfe.
Nun, Freundchen, gesteh, hab ich recht?

JOSÉ
Ich gestehe, 's ist wahr, ich gesteh,
daß ich sie liebe!
Doch wie gerufen kommen von dort
die Mädchen der Fabrik, sehet selbst,
und urteilt, ob sie Euch gefallen!

Nr. 3 Chor der Zigarettenarbeiterinnen

(Die Fabrikglocke läutet. Junge Männer kommen

auf den Platz, um die Zigarettenmädchen
abzufangen. Die Soldaten kommen aus dem
Wachlokal. Don José setzt sich auf einen Stuhl und
nimmt, während er an einer kleinen Kette für
seinen Zündstift arbeitet, keine Notiz von dem
allgemeinen Kommen und Gehen.)


JUNGE LEUTE
Kommen wir herbei mit der Glocke Tönen,
auf die Mädchen hier warten wir am Ort, -
Gehen wir ihnen nach, diesen braunen Schönen,
flüstern ihnen zu manches süße Wort.
(In diesem Moment erscheinen die Mädchen; sie
rauchen Zigaretten.)


SOLDATEN
Seht sie da! wie keck ohne Scheu
diese Koketten
kommen lachend, rauchen dabei
ihre Zigaretten!

ZIGARETTENARBEITERINNEN
Sehet, wie Raucheswolken ziehn
in die Lüfte kräuselnd dahin
und verbreiten holde Düfte.
Sanft betäubet, schlürft den Rauch
mit den Lippen und wie im Hauch
laßt uns süße Wonne nippen.
Ist so ein Mann Liebe zu schwören bereit, -
das ist Hauch.
Sagt er, daß uns ist sein Leben geweiht, -
leicht, wie Rauch. -
Ein treues Herz in der Brust ist nur Hauch. -
O süßer Schmerz. Liebeslust,

das ist ein Hauch, - so leicht wie Rauch, ja!
Seht, wie Rauchwolken ziehn, usw.

SOLDATEN
Doch wir sehen nicht Carmen in ihrer Mitte.
(Carmen tritt auf.)

ZIGARETTENARBEITERINNEN und JUNGE LEUTE
Seht sie da! Carmen!
Sie ist da, Carmencita!
(Sie trägt ein Sträußchen Kassienblüten an ihrem
Mieder und eine Kassienblüte im Mundwinkel. Die
jungen Männer kommen mit Carmen herein. Sie
folgen ihr, umringen sie und sprechen mit ihr. Sie
flirtet auf lässige Weise mit ihnen. Don José sieht
auf und nimmt dann ruhig seine Arbeit wieder auf.)


JUNGE LEUTE
Carmen, sieh, wir liegen zu Füßen dir,
Carmen, sei artig, gib Antwort hier, und nenn uns den Tag,
wo dein Sinn endlich bricht und wo dein sprödes
Herz uns von Liebe spricht.

Rezitativ

CARMEN (mit einem Blick auf Don José)
Wann ich Liebe euch schenk?
fürwahr, das weiß ich nicht,
wohl niemals vielleicht, 's kann morgen schon sein
- eins weiß ich gewiß: Heute? - nein!!

Nr. 4 Habanera

CARMEN
Ja, die Liebe hat bunte Flügel,
solch einen Vogel zähmt man schwer;
haltet fest sie mit Band und Zügel,
wenn sie nicht will, kommt sie nicht her.
Ob ihr bittet, ob ihr befehlet
und ob ihr sprecht und ob ihr schweigt,
nach Laune sie den erwählet
und heftig liebt der stumm sich zeigt.
Ja, die Liebe, usw.

CHOR
Ja, die Liebe hat bunte Flügel, usw.

CARMEN
Die Liebe von Zigeunern stammet,
fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht;
liebst du mich nicht, bin ich entflammet,
und wenn ich lieb, nimm dich in acht!

CHOR
Nimm dich in acht!
Die Liebe von Zigeunern stammet, usw.

CARMEN
Glaubst den Vogel du schon gefangen,
ein Flügelschlag, ein Augenblick,
er ist fort und du harrst mit Bangen,
eh du's versiehst, ist er zurück.
Weit im Kreise siehst du ihn ziehen,
halt ihn fest und er wird entfliehen,

weichst du ihm aus,
flugs ist er da!
Ja, die Liebe, usw.

CHOR
Weit im Kreise siehst du ihn ziehen, usw.

CARMEN
Die Liebe von Zigeunern stammet,
fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht;
liebst du mich nicht, bin ich entflammet,
und wenn ich lieb, nimm dich in acht!
Liebst du mich nicht, bin ich entflarmmet, usw.

CHOR
Nimm dich in acht! usw.
Die Liebe von Zigeunern stammet, usw.

Nr. 5 Szene

JUNGE LEUTE
Carmen, sieh wir alle folgen dir;
Carmen! ach, sei artig, gib Antwort hier !
(Eine Pause. Die jungen Männer umringen Carmen,
die einen nach dem anderen mustert. Dann geht
sie aus dem Kreis und direkt auf Don José, der
immer noch mit seiner kleinen Kette beschäftigt ist.)


CARMEN
Was machst du denn da?

JOSÉ
Ich? - eine Kette, um meine Gewehrnadel daran zu befestigen!

CARMEN
Eine Kette? - Eine Rosenkette? Eine Liebeskette?
(Carmen wirft Don José die Kassienblüte zu. Er
springt auf. Die Blüte ist ihm vor die Füße gefallen.
Allgemeines Gelächter.)


ZIGARETTENARBEITERINNEN (umringen Don José)
Die Liebe von Zigeunern stammet, usw.
(Die Fabrikglocke läutet wieder. Carmen und die
anderen Zigarettenmädchen laufen in die Fabrik.
Die jungen Männer etc. gehen ab. Die Soldaten
gehen ins Wachlokal. Don José bleibt allein zurück.
Er hebt die Blüte auf.)


Rezitativ

JOSÉ
Ha! das heiß ich doch Unverschämtheit!
Wie mit dem Sträußchen so geschickt sie mich traf,
wie mit einer Kugel!
Dieser Duft ist berauschend,
und die Blume, wie schön!
Und das Mädchen! Sollt wirklich Hexen es
geben, ist sie eine ganz gewiß!

MICAËLA
José!

JOSÉ
O Micaëla!

MICAËLA
Ich bin da!

JOSÉ
Welche Freude!

MICAËLA
Mich hat die Mutter hergesendet!

Nr. 6 Duett

JOSÉ
Wie? du kommst von der Mutter?

MICAËLA
Als Botin komm ich her und bring mit
frohem Mute dieses Schreiben.

JOSÉ
Wie, ein Schreiben?

MICAËLA
Und noch dies Stückchen Gold,
um aufzubessern deinen knappen Sold.
Und noch, -

JOSÉ
Was noch? -

MICAËLA
Und noch, wie soll ich's sagen,
und noch hat mir die Mutter
etwas aufgetragen,
von hohem Wert für einen guten Sohn,
wohl mehr, als Gold und reicher Lohn.

JOSÉ
So sprich, mein Mädchen, was sie gegeben?
Sag es mir!

MICAËLA
Nun wohlan, es sei!
Was sie vom Herzen gab,
ich überbring es treu!
Sonntag war's, aus der Kirche gingen wir soeben,
sie sprach zu mir mit sanftem Ton:
Nun mach dich auf den Weg, nach der Stadt hinziehen,
Gott sei mit dir, mein Kind, er wird den Pfad dir weisen,
er führet sicher dich zu José, meinem Sohn.
Sag dem teuren Kind meiner Schmerzen,
Mutterliebe währt ew'ge Zeit,
daß sie sein Bildnis trägt im Herzen,
was er getan, sie gern verzeiht.
Alles das, Micaëla, sag ihm,
sag es ihm, und den heißen Kuß,
den ich auf deine Lippen drücke,
bring ihn dar als der Mutter Gruß.

JOSÉ
Einen Kuß meiner Mutter?

MICAËLA
Für den Sohn gab sie mir;
und wie ich ihn empfing,
geb ich ihn treulich dir!
(Micaëla stellt sich auf die Zehenspitzen und gibt
Don José einen aufrichtigen, mütterlichen Kuß.


Don José ist sehr bewegt und läßt es geschehen.
Er sieht ihr in die Augen. Es herrscht einen
Augenblick lang Schweigen.)


JOSÉ
Ich seh die Mutter dor t,
sie ruft zurück mir im Bilde
das stille Tal und das Haus,
wo meine Wiege einst stand.
Ach! gerne denk deiner ich, mein teures Heimatland,
du stilles Tal, wo meine Wiege stand.
Es schlägt mein Herz so stark
und doch wird mir so milde,
ich seh die Mutter dort,
wo meine Wiege stand,
ruft sie zurück im Bilde.

MICAËLA
Er sieht die Mutter dort
sie ruft zurück ihm im Bilde
das stille Tal und das Haus,
sein teures Heimatland.
Es schlägt sein Herz so stark
und doch wird ihm so milde,
er sieht die Mutter dort,
wo seine Wiege stand,
sie ruft zurück im Bilde.

JOSÉ (auf die Fabrik schauend)
Wer weiß es, welcher Dämon sich gegen mich wendet?

Selbst in der Ferne schützt mich der Mutter
Wort und dieser Kuß, den sie gesendet,
entreißt mich der Gefahr,
er sei mein Schirm und Hort.

MICAËLA
Die Gefahr dich bedroht?
Welch Dämon kann das sein?
O vertrau es mir an!

JOSÉ
Nichts! nein!
Lasse das Fragen, sei ohne Sorgen,
und sag mir, wann heimwärts du ziehst?

MICAËLA
Ich? Diesen Abend,
und bin bei der Mutter schon morgen.

JOSÉ
Bei meiner Mutter?
O sag, wenn du sie siehst:
Daß ich sie lieb aus vollem Herzen,
mein Dasein nur ihr ist geweiht;
mög es lindern der Trennung Schmerzen,
daß sie liebt und verzeiht.
Daß ich treu dir ins Auge blicke,
sag es ihr, und den heißen Kuß,
den ich auf deine Lippen drücke,
bring ihn dar, als des Sohnes Gruß.
(Er küßt sie.)

MICAËLA
Ich schwör' es, den heißen Kuß, den gegeben du mir,

José, wie ich's versprach, ich bring ihn treulich ihr.

JOSÉ
Ich seh die Mutter dor t! usw.

MICAËLA
Er sieht die Mutter dort! usw.

Rezitativ

JOSÉ
Bleibe da,
während hier den lieben Brief ich lese.

MICAËLA
Nicht doch,
ich gehe jetzt und später kehr ich zurück.

JOSÉ
Warum willst du fort?

MICAËLA
Weil ich denke, daß es besser ist,
wenn ich gehe;
noch manches hab ich zu besorgen!

JOSÉ
Du kehrst zurück?

MICAËLA
Bald bin ich hier.
(Sie geht.)

JOSÉ
Fürchte nichts, o Mutter! Dein Sohn wird deine

Wünsche mit Freuden stets erfüllen. Lieb ich
doch Micaëla, sie soll mein Weibchen sein,
trotz deiner Blumen, du braune Hexe!

Nr. 7 Chor

(Gerade als er die Blüte aus seiner Jacke reißen
will, gibt es große Aufregung in der Fabrik. Zuniga
kommt, gefolgt von einigen Soldaten, auf die Bühne.)


ZUNIGA
Was ist dort geschehen?

ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Kommt zu Hülf!
hört ihr das Geschrei?

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
Kommt zu Hülf!
Eilet schnell herbei!

ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Carmen begann den Streit!

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
Nein, nein, sie ist nicht schuldig!
's ist nicht wahr!

ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Sie war es, sie ist so ungeduldig,
sie hat den erste n Streich getan.

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
Nein, höret sie nicht an!

ALLE ARBEITERINNEN (umringen Zuniga)
O hört uns an, o hört uns an,
die hat's getan, o hört getan, usw.

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
(ziehen den Offizier auf ihre Seite)
Mercédès beim Wickeln sprach:
Mir ist zuwider das Laufen,
möchte einen Esel kaufen,
reiten bis hierher gemach.

ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Carmen, wie es schon ihr Brauch,
hob an mit spöttischen Mienen:
Wozu soll ein Esel dienen?
's ging mit einem Besen auch.

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
Mercédès nichts schuldig blieb,
ihr Mundwerk geht wie am Schnürchen:
Wünsche ich mir so ein Tierchen,
geschieht's ja nur dir zu Lieb!

ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Auf dem Esel kannst verkehrt
in Parade zu sitzen.
Aus der Stadt mit Nesselspitzen,
peitscht man dich, wie sich's gehört.

ALLE ARBEITERINNEN
Kaum heraus dieses Wort war,
lagen sie sich in dem Haar.

ZUNIGA
Zum Teufel mit dem tollen Schreien!

Hinein, José, und nehmt mit Euch zwei Mann, sehet nach,
was es gibt und schafft Ruh ohne Zaudern.
(Don José nimmt zwei Männer mit. Die Soldaten gehen
in die Fabrik. Dies geschieht alles, während die Mädchen
einander umherstoßen und sich miteinander streiten.)


ERSTER ARBEITERINNENCHOR
Carmen begann den Streit, usw.

ZWEITER ARBEITERINNENCHOR
Nein, nein! sie ist nicht schuldig!, usw.

ZUNIGA
Heda! Fort mit dem Weibsvolk
und schafft freie Bahn.

ALLE ARBEITERINNEN
Mein Herr! Nein, höret sie nicht an!, usw.

(Die Soldaten halten die Mädchen zurück. Carmen
erscheint am Eingang der Fabrik, geführt von Don
José und gefolgt von zwei Dragonern.)


Nr. 8 Lied und Rezitativ

JOSÉ
Mein Offizier, ein Streit entspann sich droben,
wohl zuerst nur in Worten, dann griff man zu den
Messern, 's ward ein Mädchen verwundet.

ZUNIGA
Und durch wen?

JOSÉ
Hier durch diese!

ZUNIGA (zu Carmen)
Du hast's gehört, was hast du zu erwidern?

CARMEN
Tra la la la la la la la!
Brenne, schneide und foltre,
daß reden ich soll.
Tra la la la la la la la!
Doch ich trotz dem Himmel,
dem Eisen, dem Feuer!

ZUNIGA
Keine Lieder will ich hören!
Gib Antwort auf meine Frage sogleich!

CARMEN
Tra la la la la la la la!
Das Geheimnis ist mein und ich hüte es wohl.
Tra la la la la la la la!
Ja, ich lieb ihn,
im Tod noch ist er mir teuer.

ZUNIGA
Wenn du jetzt das Singen nicht läßt, nun
so magst im Gefängnis du singen nach Lust!

CHOR
Ins Gefängnis mit ihr!
(Carmen versucht, sich auf die Mädchen zu stürzen.)

ZUNIGA (zu Carmen)
Beim Teufel!

Leicht, wie es scheint, führt dein Händchen das Messer!

CARMEN
Tra la la la...

ZUNIGA
's ist doch schade!
ja wirklich schade!
Reizend ist sie in der Tat!
Doch gilt es hier, Ernst ihr zu zeigen.
Bindet ihr die Hände fest!
(Zuniga geht. Eine kurze Pause. Carmen schaut auf
und sieht Don José an. Dieser dreht sich um, geht
ein paar Schritte zurück und geht wieder zu
Carmen, die ihn während der ganzen Zeit beobachtet hat.)


CARMEN
Wo führst du mich hin?

JOSÉ
Nach dem Befehl folgst du mir ins Gefängnis!

CARMEN
Und kannst du mich nicht befreien?

JOSÉ
Leider nein, folgen muß ich dem Befehl!

CARMEN
Doch ich weiß, daß für mich

den Befehlen des Chefs du trotzest, alles tust,
was ich von dir will,
und warum? Weil du mich liebst!

JOSÉ
Ich dich lieben?

CARMEN
Ja, José! Die Blume
die ich dir geworfen,
du weißt, die Blume der Hexe,
die du in der Brust noch verbirgst,
der Zauber wirkt schon.

JOSÉ
Sprich nicht mehr zu mir, schweige still!
Nicht hör ich länger dich an!

Nr. 9 Seguidilla und Duett

CARMEN
Draußen am Wall von Sevilla
wohnet mein Freund Lillas Pastia,
dort tanze ich die Seguidilla
und trink Manzanilla!
Dort bei meinem Freunde Lillas Pastia.
Ach, besser ist es doch zu zweien,
langweilig ist's allein zu sein,
so soll mir, seinem Arm zu leihen,
der Liebste mein Begleiter sein.
Der Liebste mein? Ach, wenn ich ihn hätte!
Ich jagt' ihn gestern erst davon!
Mein armes Herz ist ohne Zweifel,
frei, wie der Vogel in der Luft!

Ich zähl die Liebsten dutzendweise,
aber ich mag sie nicht.
So schließt die Woche im Geleise,
und wer mich liebt, den liebe ich.
Wer kommt mir denn helfend entgegen,
wer findet wohl das rechte Wort?
's ist nicht Zeit das zu überlegen,
mit dem Liebsten muß schnell ich fort!
Draußen am Wall von Sevilla, usw.

JOSÉ
Jetzt schweig -

CARMEN
Ich sprach ja nicht mit dir,
ich sing für mich nur
eben, dabei denk ich - das Denken, mein ich, ist wohl erlaubt.
Ich denk an den Mann, lieb und wer t.
An den Offizier, den ich lieb, mehr als mein
Leben und dem mein Herz für ewge Zeit gehört.

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Mein Offizier ist, ich kann's nicht verhehlen,
nicht Kapitän und nicht Leutnant,
er ist nur Sergeant,
doch, was hat ein Zigeunerkind auszuwählen?
Bin zufrieden mit seinem Stand.

JOSÉ
(lockert die Stricke an Carmens Händen)

Carmen, ach, mir schwinden die Sinne,
kaum mehr weiß ich, was ich beginne,
dein Versprechen es bindet dich.
Wenn ich dich liebe, o Carmen! dann liebst du auch mich.

CARMEN
Ja...
Wir tanzen dort die Seguidilla
und trinken Manzanilla.

JOSÉ
Bei Lillas Pastia.
Du hältst dein Wort?
Carmen!
Du hältst dein Wort?

CARMEN
Ach! Draußen am Wall von Sevilla, usw.
(Mit ihren Händen hinter dem Rücken geht Carmen
wieder zu ihrem Stuhl und setzt sich. Zuniga tritt ein.)


Nr. 10 Finale

ZUNIGA (zu José)
Hier der Befehl!
Nun geht und haltet gute Wache!

CARMEN (beiseite zu José)
Unterwegs geb ich dir einen Stoß

mit der ganzen Kraft, und du lässest mich los.
Strauchle dann, falle hin,
das andere ist meine Sache.
(Carmen stellt sich zwischen die beiden Dragoner,
mit José an ihrer Seite. Die Mädchen und andere
Personen kommen zurück auf die Bühne. Die
Soldaten halten sie zurück. Carmen geht über die
Bühne auf die Brücke zu.)

Die Liebe von Zigeunern stammet,
fragt nach Rechten nicht, Gesetz und Macht;
liebst du mich nicht, bin ich entflammet,
und wenn ich lieb nimm dich in acht!
(Am Fuße der Brücke versetzt Carmen José einen
Stoß, so daß er hinfällt. Verwirrung entsteht, und
Carmen entflieht. In der Mitte der Brücke bleibt sie
einen Augenblick lang sehen und wirft ihren Strick
über die Brüstung der Brücke und läuft fort.
Währenddessen umringen die Zigarettenmädchen
Zuniga unter großem Gelächter.)


Zwischenspiel

 
Contents: Personen; Erster Akt; Zweiter Akt; Dritter Akt; Vierter Akt

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